Profil

Die gegenwärtige kulturelle Situation ist von einer sich ständig beschleunigenden Globalisierung bestimmt. Je mehr die europäische Kultur ihre selbstverständliche Gültigkeit verliert und sich der Konkurrenz zu anderen Kulturen und Traditionen stellen muss, um so bedeutender wird die Frage nach der kulturellen Identität Europas. Bei der Suche nach den Grundlagen, auf denen weltumspannend eine transkulturelle Verständigung wachsen kann, ist eine vertiefte Einsicht in das eigene europäische Profil, d.h. in seine internen Konvergenzen und Differenzen – diachron und synchron – eine unverzichtbare Voraussetzung. Sie zu erfüllen ist eine genuine Aufgabe interdisziplinärer geisteswissenschaftlicher Forschung. Das wiederholte Aufkommen als ‚klassisch’ empfundener Epochen bildet ein Grundphänomen der europäischen Geistesgeschichte. Als ‚klassisch’ wird hierbei eine Epoche verstanden, die als vorbildhaft und maßstabbildend angesehen wird, sei es im eigenen Selbstverständnis, sei es aus der Sicht anderer, d.h. entweder in ihrer Wirkung auf zeitgleiche Fremdkulturen (Akkulturation) oder in ihrer Nachwirkung innerhalb einer von ihr gestifteten kulturellen Tradition.

Eine so verstandene ‚Klassik’ entfaltet ihre prägende Kraft in allen Formen geistigen Lebens wie Philosophie, Religion, Literatur, Sprache, Kunst und Politik. In der Forschung werden diese Epochen besonderer Aufmerksamkeit gewürdigt. Da jede dieser ‚Klassiken’ seit der Antike in einem kontinuierlichen kulturellen Zusammenhang mit der Tradition bei gleichzeitiger Transformation steht, sind sie immer durch ein jeweils spezifisches Verhältnis von Kontinuität und Wandel gekennzeichnet. An ihnen läßt sich mit besonderer Deutlichkeit darstellen, inwiefern der Fortgang europäischer Geistesgeschichte einerseits in einer Konstanz überlieferter Fragestellungen und Antworten besteht und andererseits – entweder bewusst oder unbewusst – zu Neuerungen gelangt, indem die Antworten auf die tradierten Fragestellungen variieren oder sogar noch nicht einmal mehr eine Identität auch nur der Fragestellungen vorliegt, sondern alte Problemfelder aufgegeben und neue hinzugenommen werden. So bestimmt sich jede ‚Klassik’ durch ihr Verhältnis zu vorausgehenden ‚Klassiken’ und wird ihrerseits wiederum zum Referenzpunkt der Folgezeit.

Die Untersuchung der ‚Klassiken’ sowie ihrer Relationen zueinander bietet daher einen besonders prägnanten Maßstab für die Beantwortung der Frage nach dem, was sich vielleicht als europäische Identität bezeichnen lässt. Letztlich wird sich aus einer Fülle von Untersuchungen die Möglichkeit einer Zusammenschau ergeben, die so etwas wie ein Gesamtbild entweder des Wandels in der Identität und/oder auch des – in bestimmter Weise vollzogenen – Wandels als Identität erbringen kann. Dies sollte zum Zweck des Kontrastes auch Forschungen zum Nicht-Klassischen sowie zum Phänomen der Klassik in außereuropäischen Kulturen einschließen.

Die Promotion gilt im Rahmen des Bologna-Prozesses als Phase selbständiger wissenschaftlicher Arbeit. Die Graduate School European Classics will dies besonders begabten Nachwuchswissenschaftlern/Nachwuchswissenschaftlerinnen im Rahmen eines strukturierten und kooperativ betreuten Promotionsstudiums ermöglichen. Indem sich die Graduate School European Classics der oben skizzierten inhaltlichen Aufgabe stellt, bringt sie die von den beteiligten Fächern geteilte Überzeugung von der Unverzichtbarkeit geisteswissenschaftlicher Forschung als Mittel zur Bestimmung des eigenen kulturellen Profils gerade im Rahmen einer modernen, zukunftsorientierten Gesellschaft zum Ausdruck. Sie will darüber hinaus und im besonderen aber auch dazu beitragen, die geisteswissenschaftliche Forschung an der Universität Münster national und international sichtbar zu machen.

(§ 1 der Ordnung der Graduate School European Classics der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster)