Pressemitteilung upm

Fester Hornpanzer statt rosiger Babyhaut

Von Münster aus geleitetes Netzwerk erforscht schwere angeborene Verhornungsstörungen

Münster (upm), 29. März 2004

[Ixchthyose]
Wie an den Armen ist die Haut von Ichthyose-Patienten am ganzen Körper extrem trocken und verhornt.
Foto: UKM   

Statt von zarter rosiger Babyhaut ist der gesamte Körper der Neugeborenen einschließlich des Gesichtchens von einem festen Hornpanzer umhüllt. Die Kinder stecken darin zunächst wie in einer Rüstung und können sich kaum bewegen. Nach der Behandlung auf der Intensivstation, wo die erbarmungswürdig aussehenden kleinen Patienten zum Schutz vor einer lebensbedrohlichen Austrocknung zunächst in einen Inkubator mit hoher Feuchtigkeitszufuhr kommen, löst sich die dicke Hornschicht zwar ab, aber die Betroffenen haben zeitlebens physisch und vor allem psychisch unter massiven Hautproblemen zu leiden. Die Krankheit, an der diese so genannten Harlekin-Babys leiden, gehört zu den Ichthyosen, im Volksmund auch als Fischschuppenkrankheit bezeichnete erbliche Verhornungsstörungen. Um diese äußerst seltenen Erkrankungen besser zu verstehen und neue Behandlungsstrategien zu entwickeln, hat das Bundesforschungsministerium ein Netzwerk eingerichtet, das am 1. April in der Hautklinik des Universitätsklinikums Münster (UKM) offiziell eröffnet wird.

Sprecher dieses für zunächst drei Jahre mit 1,3 Millionen Euro geförderten "Netzwerks für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen" (NIRK) ist der münstersche Dermatologe Prof. Dr. Heiko Traupe, einer der wenigen Wissenschaftler in Deutschland, die sich wissenschaftlich und klinisch intensiv mit Ichthyosen beschäftigen. Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet kommen in die von ihm geleitete Spezialsprechstunde an der Hautklinik des UKM, die neben Kliniken in Köln, Marburg und Bad Salzschlierf zu den hier zu Lande insgesamt nur vier besonders ausgewiesenen Anlaufstellen für diesen Patientenkreis gehört. Obwohl die Forschung in den vergangenen Jahren wichtige neue Erkenntnisse über die Ursachen unterschiedlicher Ichthyosen gebracht hat, sind die eigentlichen Krankheitsmechanismen noch weitgehend unbekannt. Hier soll das aus acht Teilprojekten bestehende Netzwerk, an dem neben der Hautklinik und dem Institut für Medizinische Informatik und Biomathematik des UKM weitere Einrichtungen in Bad Salzschlierf, Berlin, Köln, Marburg und Heidelberg beteiligt sind, neue Aufschlüsse bringen und damit die derzeit noch im Wesentlichen auf eine Behandlung der Symptome beschränkte Therapie vorantreiben.

Insgesamt gibt es 20 verschiedene Formen von Ichthyose, wobei sich das Netzwerk auf die besonders schweren Varianten konzentrieren wird, von denen statistisch nur zwei von 100.000 Patienten und damit bundesweit zirka 1600 bis 2000 Patienten betroffen sind. Die Zahl derjenigen, die an leichteren Formen erkrankt sind, ist laut Traupe etwa zehnmal so hoch, aber insgesamt im Vergleich zu anderen Leiden immer noch sehr niedrig. Dies ist auch wohl der Grund, dass diesen und anderen seltenen Erkrankungen in Wissenschaft, Politik und Industrie bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dieses Defizit will der Bund mit dem neuen Förderschwerpunkt schließen; das Netzwerk Ichthyosen ist eines von insgesamt zehn im Oktober 2003 eingerichteten Forschungsverbünden, die sich mit seltenen Erkrankungen beschäftigen. Ein Ziel von NIRK ist es, innerhalb von fünf Jahren die Daten von mindestens 60 Prozent aller Betroffenen in Deutschland zu erfassen.

Vor dem Hintergrund der immensen Beeinträchtigung der Lebensqualität der an Ichthyose leidenden Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen stellt die Entwicklung von Behandlungsstrategien, die erstmals die Krankheit an der Wurzel packen, eine große Herausforderung dar. Denn die Betroffenen fühlen sich nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes unwohl in ihrer Haut, wie Prof. Traupe betont, sondern sie haben in der Regel auch große Probleme, sich selber anzunehmen. Viele leben äußerst zurückgezogen, weil sie die Reaktion der Umwelt auf ihr äußeres Erscheinungsbild fürchten. Hinzu kommt ein extremer Pflegeaufwand. Zur Behandlung der am gesamten Körper extrem trockenen und verhornten Haut, von der unablässig Schuppen rieseln, verbringen die Patienten laut Traupe in der Regel ihr Leben lang jeden Tag mindestens eine Stunde in der Wanne, um die Schuppen abzurubbeln und die Haut anschließend mit Fettsalben einzucremen. Was wiederum dazu führt, dass die Kleidung unschön aussieht, weil das Fett in Hosen und T-Shirts dringt. Die häufigste Ursache von Ichthyosen beruhen nach Angaben Traupes auf einem Transglutaminase-Mangel. Um herauszufinden, ob Patienten tatsächlich dieses wichtige Enzym fehlt, wird eine kleine Hautprobe entnommen, diese tiefgefroren, um anschließend mit einem von der münsterschen Arbeitsgruppe entwickelten neuartigen biochemischen Test die Aktivität des Enzyms zu messen. Eine Mutation im Transglutaminase 1-Gen konnten die münsterschen Wissenschaftler beispielsweise beim "Kollodium-Baby" nachweisen. Kinder, die mit dieser Ichthyose-Form zur Welt kommen, sind bei der Geburt am ganzen Körper von einer feinen Membran umhüllt, die wie eine dünne Plastikfolie aussieht. Wenn diese wenig später aufbricht und sich ablöst, kommt darunter eine knallrote, von feinen Schuppen bedeckte Haut zum Vorschein. Nur jedes zehnte Kollodium-Baby hat das Glück, dass es innerhalb kurzer Zeit zu einer völligen Rückbildung der Verhornungen kommt.

Seit einem Jahr ist mit der Lipoxygenase ein weiteres Enzym bekannt, an dem es bei etwa zehn Prozent aller Ichthyosen mangelt. Darüber hinaus konnte auch das Fehlen eines Protease-Inhibitors, das heißt eines Enzymhemmers, der vor dem Abbau bestimmter Einweiße schützt, als Ursache für schwere Verhornungsstörungen ausgemacht werden. Bei Kindern, die mit einem Netherton-Syndrom zur Welt kommen, eine laut Traupe "superschwere Form von Ichthyose", fehlt etwa völlig der Serinprotease-Inhibitor LEKTI.

Die Entwicklung neuer Therapiestrategien für Harlekin- und Kollodium-Babys und andere schwere Formen der Fischschuppenkrankheit zielt darauf ab, die fehlenden Enzyme in Bakterien oder Hefekulturen gentechnisch herzustellen und in Salben einzubringen. Sollte sich dieser Ansatz als erfolgreich erweisen, wäre damit tatsächlich der Durchbruch zu einer ursächlichen Behandlung gelungen. Traupe will jedoch nicht zu früh falsche Hoffnungen wecken. Zunächst seien noch experimentelle Arbeiten erforderlich. Doch immerhin umreißt seine Prognose einen überschaubaren Zeitraum. "In fünf Jahren", so seine vorsichtige Schätzung, " werden wir soweit sein, erste klinische Studien am Menschen durchzuführen."

NIRK