Pressemitteilung upm

Wenn der Schluckreflex nicht funktioniert ...

Münsterscher Mediziner erfand spezielle Magensonde für Schlaganfall-Patienten in der Akutphase

Münster (upm), 22. April 2004

[Magensonde]
Zwischenlösung: Schwester Michaela und Dr. Dziewas führen jeweils einen Schlauch in eines der Nasenlöcher ein. Heute sind beide Sonden in einer kombiniert.
Foto: UKM   

Für betroffene Patienten ist es oft die reinste Qual: Immer wieder versucht die Schwester oder der Pfleger durch die Nase eine Magensonde einzuführen, doch es will einfach nicht klappen. Wenn der Schlauch dann nach langem Herumprobieren doch irgendwann richtig platziert ist, sind beide Seiten meistens gleichermaßen erschöpft. Was im klinischen Alltag normalerweise reine Routine ist, stellt bei Schlaganfallpatienten in der Akutphase selbst für die erfahrenste Pflegekraft oft ein echtes Problem dar. Denn damit die Sonde gezielt in den Magen vorgeschoben werden kann, ist es wichtig, dass der Schluckreflex funktioniert. Genau das ist aber bei 50 bis 80 Prozent aller Schlaganfallpatienten in den ersten 14 Tagen nicht der Fall.

Als Assistenzarzt auf der Stroke Unit, der Schlaganfall-Spezialstation der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Münster (UKM), hat Dr. Rainer Dziewas diese mühsame Prozedur selbst oft genug miterlebt. Bis ihm schließlich eine zündende Idee kam, wie das Problem elegant zu lösen ist. Die Idee ist mittlerweile zum Patent angemeldet, und es gibt bereits eine Medizintechnik-Firma, die die Erfindung in ein marktreifes Produkt umgesetzt hat. Dieses im Handel unter der Bezeichnung "Easy-Swallow-Sonde" vertriebene Produkt sieht von außen im Grunde aus wie eine normale Magensonde. Nicht erkennbar ist, dass es sich dabei sozusagen um zwei Schläuche in einem handelt. Im Innern der Sonde befindet sich nämlich noch eine weitere. Dieser hauchdünne integrierte Schlauch ist allerdings nicht dafür da, die Nahrung zu transportieren, sondern - und genau das war die Idee Dziewas - über ihn soll der Schluckreflex ausgelöst werden. Dies wird erreicht, indem man in diese dünne Sonde etwas Flüssigkeit spritzt, die wiederum bei Erreichen der Rachenhinterwand eben diesen Reflex auslöst.

Wer die Magensonde legt, erkennt den Schluckreflex am sich hebenden Kehlkopf und kann jetzt die Sonde gezielt in die Speiseröhre und dann weiter in den Magen vorschieben. Die eigentliche Idee, nämlich über eine zweite Sonde den Schluckreflex auszulösen, wurde auf der Stroke Unit schon einige Zeit vor der Entwicklung dieser speziellen Magensonde in die Tat umgesetzt. Damals war jedoch alles noch etwas mühsamer, weil dazu zwei Personen benötigt wurden. Denn es wurden zwei einzelne Schläuche verwandt, die von den Pflegekräften oder auch einem hinzugezogenen Arzt parallel in jeweils eines der Nasenlöcher eingeführt wurden. Bei dem Schlauch, über den der Schluckreflex ausgelöst wurde, handelte es sich um eine Säuglingsernährungssonde, deren Durchmesser mit etwa 1,3 Millimeter weniger als ein Viertel von dem der eigentlichen Magensonde beträgt.

Obwohl das Verfahren mit den zwei getrennten Sonden noch nicht so ganz das Ei des Kolumbus war, stellte es für die Fachwelt doch schon eine enorme Verbesserung gegenüber dem herkömmlichen Vorgehen dar. Zumal nachgewiesen werden konnte, dass Blutdruck und Herzfrequenz der Patienten bei dem konventionellen Verfahren gegenüber der neuen Methode deutlich erhöht und damit die Belastung viel größer ist.

Für die Erfindung von Rainer Dziewas, an der neben ihm auch der damalige Oberarzt Dr. Peter Lüdemann und MTA Salvador Perez-Mengual beteiligt waren, hat das UKM die PROvendis GmbH eingeschaltet, eine vom NRW-Wissenschaftsministerium geförderte Patentverwertungsagentur der nordrhein-westfälischen Hochschulen und Uni-Klinika. Dort läuft sie unter der Nummer 001, denn es war die erste Erfindung überhaupt, die bei dieser Agentur eingereicht wurde. Während über die Patenterteilung noch nicht entschieden ist, konnte vor kurzem bereits mit der Firma Alpo Technik GmbH in Süddeutschland, die auch den Prototyp hergestellt hat, ein Lizenzvertrag abgeschlossen werden.

Was bedeutet, dass die in Münster entwickelte "Easy-Swallow-Sonde" jetzt in den Handel kommt und damit auch anderenorts Schlaganfall-Patienten davon profitieren können. Immerhin erleiden allein in Deutschland 200.000 Menschen pro Jahr einen Schlaganfall, wovon mindestens die Hälfte in der Akutphase Schluckstörungen hat und daher über eine Sonde ernährt werden muss. Wenn ihnen bei diesem ohnehin schon mit Angst behafteten Verfahren unnötige Strapazen abgenommen werden können, hat sich die Erfindung sicher bezahlt gemacht.

Klinik für Neurologie des UKM