Pressemitteilung upm

Im Schatten der Aufklärung

Philosoph untersuchte die Bedeutung des 17. Jahrhunderts für die Moderne

Münster (upm), 15. Juli 2004

Wie ein gewaltiger Lichtstrahl breitete sich die Aufklärung über Europa aus. Noch heute verbinden wir Schlagworte wie "Vernunft" und "Naturrecht" intuitiv mit dem 18. Jahrhundert. Im Schatten dieser wirkungsmächtigen Epoche steht das 17. Jahrhundert. In seinem Buch "Das Weltbild des 17. Jahrhunderts. Philosophisches Denken zwischen Reformation und Aufklärung" lenkt Prof. Dr. Martin Schneider von der Universität Münster den Augenschein auf diese nur wenig im allgemeinen Bewusstsein verankerte Epoche des Übergangs.

"Das 17. Jahrhundert ist für unser heutiges Wissenschafts- und Gesellschaftsverständnis prägend", betont Schneider. Die entscheidenden Umschwünge des 18. Jahrhunderts seien im 17. Jahrhundert vorbereitet worden - einem Jahrhundert, dem seit jeher Schneiders Interesse gilt, ist er doch Editionsleiter der philosophischen Reihen der Leibniz-Akademieausgabe der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster. "Leibniz ist zugleich genialer Erneuerer und Bewahrer der Tradition", sagt Schneider. In seinem Forschungsansatz widmet er sich aber weniger den Personen, sondern gibt einen philosophiegeschichtlichen Überblick über die Epoche. "Nicht wie üblich Autor für Autor abhandeln", lautet sein Vorsatz. Er orientiert sich an leitenden Ideen und Kontroversen, um so ein systematisches und ganzheitliches Bild der Epoche zu zeigen. In der Auswahl der Autoren konzentriert er sich insbesondere auf die großen Philosophen der Zeit, wie Leibniz und Descartes, zeigt aber auch weniger bekannte Strömungen wie die spanische Spätscholastik auf. Er versucht keine neuen Thesen zu erarbeiten, sondern eine unmittelbare und für ein breites Publikum ansprechende Überblicksdarstellung zu bieten.

Gängige Beschreibungen wie zum Beispiel "Absolutismus", "Barock", "Merkantilismus" oder "Gegenreformation" treffen laut Schneider zwar auf das 17. Jahrhundert zu, gelten aber nicht exklusiv für diese Zeitspanne, die er - anders als viele seiner Kollegen - als eigenständige Geistesepoche verstanden wissen möchte. So setzt er die zeitlichen Grenzen mit dem Konzil von Trient - der Reaktion der katholischen Kirche auf den Protestantismus - und dem Tod des Sonnenkönigs Ludwig XIV, dem absoluten Monarchen schlechthin. Diese Zeitspanne von 1563 bis 1715 erhebt keinen absoluten Anspruch auf Richtigkeit, sie ist aber auch nicht willkürlich gesetzt, denn sie umfasst den Übergang zwischen Reformation und Aufklärung. "Der Übergangscharakter, die Mischung aus Altem und Neuem macht die Epoche besonders interessant", sagt Schneider fasziniert. Gerade dieses Wechselspiel von Tradition und Fortschritt mache den Charakter der Epoche aus. "Nach den langwierigen Glaubenskämpfen im 16. Jahrhundert fanden die Menschen in der Religion keine Ruhe mehr und besannen sich auf ihren Verstand. Im Unterschied zur Aufklärung spielte die Religion aber weiter eine große Rolle. Die Menschen versuchten, auch sie rational zu begründen", sagt Schneider.

Darin sieht er auch eine wichtige Bedeutung des 17. Jahrhunderts für die Moderne: "Unser Wissenschaftsverständnis geht auf das Denken dieses Zeitalters zurück." Die quantitative Betrachtungsweise, die heute noch weit größere Verbreitung und Bedeutung erfahren hat, ist damals entstanden. Nach dem Vorbild von Mathematik und Mechanik orientierten sich auch die Geisteswissenschaften an der methodischen Vernunft. Eine Universalwissenschaft, ein Verbund aller Wissenschaften, wurde angestrebt. Regelgeleitet versuchten die Philosophen, alle Naturphänomene durch Quantität, Figur und Bewegung zu erklären. Damit stießen sie allerdings auf Grenzen. Phänomene wie Seele oder Geist ließen sich nicht mechanisch begründen. So bildete der Glaube immer noch die Basis der Diskussion. Die Natur erschien als mechanisch-geregelte, aber dabei zweckvoll von Gott geleitete kosmische Ordnung.

"Wir müssen uns - von unserem heutigen Selbstverständnis aus gesehen - dieser Kulturepoche besonders verpflichtet fühlen", sagt Schneider. So könnte eine Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln auch helfen, die eigene Identität zu definieren. "Nur von der Gegenwart ausgehend und den Modeerscheinungen nacheifernd ist das nicht möglich", betont er.

"Das Weltbild des 17. Jahrhunderts", Martin Schneider, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004, 34,90 Euro

Leibniz-Forschungsstelle