Pressemitteilung upm

Böswillige Zauberer und zornige Ahnen

Medizinethnologe erforscht in Malawi die traditionelle Sicht auf Krankheit und Behinderung

Münster (upm), 28. September 2004

[Malawi]
Der Vorplatz der Gesundheitsstationen dient den Patienten oft als Wartezimmer.
Foto: Steinforth   

"Dass sich ein Patient mal kurz aus seinem Krankenhausbett ins Freie stiehlt, um Rat von einem traditionellem Heiler einzuholen, kommt in Malawi durchaus vor", berichtet Arne Steinforth. Kürzlich ist der Ethnologe von einem sechsmonatigen Forschungsaufenthalt ans Institut für Anatomie des Universitätsklinikums Münster (UKM) zurückgekehrt. Der junge Völkerkundler ist dort Mitglied der 1998 gegründeten "Arbeitsgemeinschaft Komplementärmedizin" unter der Leitung von Privatdozent Dr. Timm Filler. Das interdisziplinäre Team aus Ärzten und Ethnologen erforscht, welche Vorstellungen zu Medizin und Heilen in verschiedenen Kulturen existieren. Ein aktuelles Projekt ist beispielsweise eine Studie zur Ohr-Akupunktur, einem Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin.

Steinforth selbst promoviert über "Afrikanische Konzepte von Behinderung". Bei früheren Aufenthalten im südostafrikanischen, etwa elf Millionen Einwohner zählenden Malawi hat Steinforth bereits untersucht, wie dort traditionell das Auftreten von Krankheiten erklärt wird: Bei alltäglichen Wehwehchen macht man sich nicht viele Gedanken und versucht - ähnlich wie bei uns - Beschwerden mit pflanzlichen Mitteln, wie zum Beispiel zerriebenen Wurzeln, zu kurieren. Ernstere und chronische Leiden sowie Behinderungen werden auf übernatürliche Einflüsse zurückgeführt, sei es, dass eine Person einem übel will und deshalb einen Zauber ausgeübt hat, sei es, dass der Kranke in Unfrieden mit seinen Ahnen lebt und deshalb von ihnen bestraft wird oder dass er durch Missachtung eines moralischen Gebotes die Gottheit erzürnt hat. Bei entsprechenden Beschwerden wendet man sich daher an eine spirituell legitimierte Autorität, einen traditionellen Heiler, der Arzneien aus Pflanzen verabreicht und die entsprechenden Rituale vornimmt, um den Kranken von seinem Leiden zu befreien.

"Medizinische und religiöse Anschauungen sind in vielen Gesellschaften des südlichen Afrika eng miteinander verflochten", berichtet der Ethnologe. Eine Behinderung wird nicht wie bei uns als unumkehrbar angesehen, sondern als länger andauernde gesundheitliche Beeinträchtigung spirituellen Ursprungs. Ihre Heilung erscheint aus dieser Perspektive als durchaus denkbar. In seiner Doktorarbeit möchte Steinforth die Hintergründe dieses traditionellen Verständnisses von Behinderung umfassend darlegen und Möglichkeiten einer Vereinbarkeit mit der westlichen Sichtweise aufzeigen, denn dies ist seiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Versorgung behinderter Menschen in afrikanischen Ländern.

Die Landbevölkerung Malawis muss in der Regel mehrstündige Fußmärsche auf sich nehmen, um zu einer der wenigen staatlichen, an westlicher Medizin orientierten Gesundheitsstationen zu gelangen. Dort treffen die Kranken meist keine ausgebildeten Ärzte an, sondern Krankenpfleger, die das ihnen Mögliche tun und darüber hinaus an andere Einrichtungen verweisen. Finanzielle Unterstützung vom Staat gibt es für Behinderte nicht, so dass die Betroffenen - insbesondere auf dem Land - völlig abhängig von ihren Familien sind. Für seine Feldforschung hat Arne Steinforth Chichewa, neben Englisch die offizielle Landessprache der einstigen britischen Kolonie, erlernt. Von seiner Basisstation im Süden Malawis fährt er regelmäßig in die Dörfer, um Interviews zu führen. "Die Menschen sprechen mit Ausnahme von Aids bewundernswert offen über ihre Krankheiten", findet er und freut sich schon auf das zweite halbe Jahr Feldforschung, das im Oktober beginnt. Weitere Informationen unter www.complementary-medicine.de.

AG Komplementärmedizin