Pressemitteilung upm

Die Grenzen des Internets

Soziologin untersucht das russische Web und bietet Distance-Learning-Seminare an

Münster (upm), 08. Juni 2005

[Teubener]
Dr. Katy Teubener
Foto: Peter Grewer   

Das weltweite Web ist nicht unbedingt so grenzenlos, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Nationale Unterschiede und Besonderheiten, angefangen beim Internet-Recht bis hin zu Publikationsgewohnheiten, spiegeln auch die nationale Identität wider. Dr. Katy Teubener vom Institut für Soziologie der Universität Münster untersucht gemeinsam mit der Slawistin Dr. Henrike Schmidt von der Ruhr-Universität Bochum und mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung die Mechanismen kultureller Identitätsbildung im russischsprachigen Internet.

"Das Internet hat sich in der Zeit entwickelt, in der die Sowjetunion zerfallen ist. Da ist es natürlich besonders interessant zu beobachten, welche Rolle das Internet im russischen Bewusstsein spielt und ob es eine Gegenöffentlichkeit gegen die staatlich kontrollierten Medien schaffen kann", erklärt Teubener ihren Ansatz. Nur sechs bis acht Prozent der russischen Bevölkerung verfügt überhaupt über einen regelmäßigen Internetzugang, der allergrößte Anteil davon sitzt in den russischen Metropolen. In den Provinzstädten muss der Zugang hart erkämpft werden, wie Teubener bei Distance-Learning-Seminaren, die sie gemeinsam mit den Universitäten in Moskau, Kursk und Rjasan anbietet, leidvoll erfahren musste. "Die Studierenden in Moskau konnten ohne größere Probleme unseren Sitzungen folgen. Die Studierenden in Kursk und Rjasan dagegen hatten nur selten die Möglichkeit, ins Internet zu gehen und häufig nicht die Kapazitäten, um die Materialien herunter zu laden", erzählt Teubener. Trotzdem bietet das Internet gerade in den Regionen einen wichtigen Zugang zu internationaler Kommunikation und Information. Die Einheit von Forschung und Lehre ist Teubeners großes Ziel. "Wir nutzen die Kommunikation über das Netz, um über das Internet und die Bildung von Öffentlichkeit in den Massenmedien zu forschen. Das ist ideal."

So eingeschränkt der Zugang in Russland zum Internet aus technischen Gründen auch ist, so sehr versucht die Regierung das Internet unter Kontrolle zu bekommen. "Aktuell wird wieder einmal darüber diskutiert, alle Internetnutzer zu registrieren. Aber im Grunde hat die Regierung bereits einen sehr effektiven Weg gefunden, um den Zugang zu kontrollieren: Sie hat die Deutungshoheit über das Internet", so die Soziologin. Von russischen Politikern wie dem Moskauer Oberbürgermeister werde das Internet vorwiegend mit negativen Metaphern belegt. Drogen, Gewalt, Memschenhandel, Kinderprostitution, weltweiter Terrorismus seien das, was das WWW heutzutage ausmache. "Da die meisten Menschen das Internet nicht aus eigener Anschauung kennen, gibt es aufgrund dieser Darstellung große Ängste in der Bevölkerung", berichtet Teubener. Bei einer Umfrage unter Besuchern von Internet-Cafés hätten sie festgestellt, dass selbst die Nutzer des Internets dieses mit Begriffen wie "Müllhalde" assoziieren. "So ist eine Zensur gar nicht mehr notwendig, weil sich viele Menschen ohnehin nicht mehr unvoreingenaommen an das neue Medium herantrauen."

Die Analyse sowohl von populären Webseiten als auch von kleineren Liebhaber Projekten hat natürlich einerseits bestätigt, dass diese Vorurteile für russische Webseiten genauso wenig zutreffen wie für andere europäische Seiten. Aber sie hat auch die kulturellen Unterschiede offenbart: "Das russische Internet ist viel stärker durch eine gesellschaftliche Identität geprägt." Das macht Teubener unter anderem daran fest, dass Weblogs - virtuelle Tagebücher - eine ungeheure Popularität genießen. "Typisch russisch ist in meinen Augen auch das sehr liberale Urheberrecht", meint Teubener. "Anders als beispielsweise in den USA werden sehr viele Publikationen als Volltext ins Netz gestellt. Dahinter steht offensichtlich die Idee eines offenen Zugangs zu Informationen eben nicht nur für eine kaufkräftige Elite."

Bis Ende des Jahres läuft die Finanzierung der VW-Stiftung. Für Teubener wird es auf jeden Fall weitergehen: "Durch unsere Online-Seminare erreichen wir eine Nachhaltigkeit, die sonst nicht möglich wäre. Wir machen deswegen auch alles öffentlich und publizieren in der laufenden Arbeit, um jene Transparenz zu erreichen, die wir selber einfordern." Die Ergebnisse der Seminare und der Forschungsarbeiten sind unter www.russian-cyberspace.org zu finden.

Russian Cyberspace