Pressemitteilung upm

Unter Tieren

Ausstellung in Münster um Reineke, Isegrim & Co.

Münster (upm), 01. August 2005

[Dycksche Handschrift]
Schlussverse von Jakob van Maerlants "Der naturen bloeme" und Anfang von "Van den vos Reynaerde" in der Dyckschen Handschrift
   

Zum ersten Mal in einer Ausstellung vereint sind seit Montag, 1. August 2005, in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster zwei wertvolle niederländische Handschriften aus dem 14. Jahrhundert, die als einzige das bekannte Tierepos Reineke Fuchs (Van den vos Reynaerde) vollständig enthalten. Die Dycksche Handschrift aus dem Besitz der Universitäts- und Landesbibliothek Münster und die Comburger Handschrift der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart bilden den Kern der Ausstellung "Unter Tieren. Fabelhafte Ausstellung um Reineke, Isegrim & Co.", die noch bis zum 2. September in Münster gezeigt wird.

Die Bedeutung, die sich die Westfälische Wilhelms-Universität als Zentrum der deutschen Niederlande-Forschung erworben hat, gab den Ausschlag dafür, dass mit der Dyckschen Handschrift 1991 ein "Literaturdenkmal" europäischen Ranges verkauft wurde und seitdem in der Universitätsbibliothek Münster aufbewahrt und für die Forschung zugänglich gemacht wird. Die Handschrift ist im zweiten Viertel oder in der Mitte des 14. Jahrhunderts in der heutigen Provinz Utrecht geschrieben worden und befand sich seit 1430 im Besitz der Fürsten von Salm-Reifferscheidt auf Schloss Dyck bei Neuss. Sie enthält neben einer naturwissenschaftlichen Enzyklopädie von Jacob van Maerlants mit dem Titel "Der Naturen Bloeme" vor allem das Tierepos "Van de vos Reynaerde", ein Werk, das einen der wichtigsten Beiträge der mittelniederländischen Literatur zur Weltliteratur darstellt.

Ähnliches gilt für die zwischen 1380 und 1425 vermutlich in Gent entstandene Comburger Handschrift, die jetzt zum ersten Mal gemeinsam mit der Dyckschen Handschrift ausgestellt wird. In dem Konvolut befinden sich etwa sechzig Texte, darunter auch mehrere Werke von Jacob van Maerlants, die nur hier überlieferte "Rijmkroniek van Vlaenderen" und eben auch die Geschichte vom "vos Reynaerde", dem Reineke Fuchs. Damit ist die in Stuttgart verwahrte Comburger Handschrift eine der umfangreichsten mittelniederländischen Handschriften mit weltlichen und literarischen Texten.

Die von Prof. Dr. Amand Berteloot und Dr. Bertram Haller (beide Münster) und Prof. Dr. W. Günther Rohr (Osnabrück) zusammen gestellte Ausstellung "Unter Tieren" zeigt in einer ersten Abteilung eindrucksvolle Exponate zur christlichen Tierdeutung, zu Fabeln, Jagdbüchern und Naturdarstellungen im Schrifttum des Mittelalters. Die zweite Abteilung konzentriert sich auf die Tierepik um Fuchs und Wolf, beginnt bei frühen lateinischen Texten, führt die französische, hochdeutsche und niederländische Tradition vor und gelangt mit der niederdeutschen und englischen Übersetzung in die Frühe Neuzeit. Schließlich bietet eine dritte Abteilung der Ausstellung einen kursorischen Überblick über die Entwicklung bis in unsere Tage, die in Goethes "Reineke Fuchs" gipfelt und sich im 20. Jahrhundert von starren Vorgaben emanzipiert.

Wilde und zahme Tiere begegnen uns in der Literatur des europäischen Mittelalters und der Frühen Neuzeit allenthalben und in den unterschiedlichsten Bereichen. Der bekannteste Vertreter der "literarischen Tiere" ist zweifellos der Fuchs, der meist mit dem Eigennamen Reineke daher kommt. Der Fuchs Reineke, so Prof. Berteloot, wird in seiner Bekanntheit dicht gefolgt vom Wolf Isegrimm, "der in den fabulösen, vor allem aber den epischen Ausprägungen unserer Tiererzählungen den dummen und gefräßigen Gegenpart zum schlauen Reineke abgeben muss und fast immer unterliegt".

Die deutsche Tierepik erlebte im 16. Jahrhundert einen absoluten Höhepunkt: Mit dem Rostocker Druck von 1539 wurde die Reineke-Fuchs-Dichtung in das religiöse Kampfschrifttum integriert. Mit dem Beginn des Dreißigjährigen Kriegs verschwand der Fuchs dann wieder fast vollständig aus dem literarischen Leben und erlebte erst an der Wende zum 19. Jahrhundert eine Wiedergeburt, als Goethe den Fuchs-Stoff für seine Auseinandersetzung mit der Französische Revolution und den Revolutionskriegen nutzte. Nun fand das schlaue Tier Eingang in die Volksbücher und wurde eine tragende Gestalt in der Kinder- und Jugendliteratur, wie etwa bei "Reineke Fuchs" von Janosch.

Universitäts- und Landesbibliothek Münster