Pressemitteilung upm

Unendliche Welten

Theologe untersucht Menschenbild und Philosophie des Cyberspace

Münster (upm), 20. Oktober 2005

Vertreter der Microsoft- und der Apple-Fraktion bekämpfen sich einander mit solch leidenschaftlicher Vehemenz wie Protestanten und Katholiken im 30-jährigen Krieg. Fast religiöse Verzückung rufen neue Prozessoren hervor in der Hoffnung, damit noch schneller mit dem Rest der Welt in Kontakt treten zu können und eigene Welten entwerfen zu können. Der scheinbar so religionsferne, technikbestimmte Cyperspace entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Ort, an dem vor allem jüdische und christliche Vorstellungen neu belebt werden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzudecken, ist Ziel des Forschungsprojektes "Cyberphilosophy" des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Geleitet wird es seit 1997 von Prof. Dr. Klaus Müller.

"Auf eine ganz eigenartige Weise werden immer wieder sprachliche Zeichen aus dem religiösen Bereich in den Selbstbeschreibungen der Szene benutzt", hat Müller beobachtet. Technologische Innovationen werden seit der Entdeckung der Elektrizität verklärt. Ebenso werde von Philosophen wie Marshall McLuhan dezidiert auch auf philosophisch-religiöse Quellen zurückgegriffen, um die Potenziale der neuen Medien zu beschreiben.

Ein Beispiel dafür ist das Bild vom Turm zu Babylon, für den die Menschen in ihrer Vermessenheit, wie es im Buch Genesis des Alten Testamentes heißt, bestraft wurden, indem Gott ihnen zahlreiche verschiedene Sprachen gab, so dass sie sich nicht mehr verstehen konnten. Explizit wird von den Cybertheoretikern eine babylonische Gegenwelt entworfen, in der jeder mit jedem kommunizieren könne. McLuhan beruft sich dabei auf den katholischen Theologen und Paläontologen Teilhard de Chardin, der bereits vor 100 Jahren die Einführung von Computern prognostizierte und "eine Einheit aller Kultur und Wirklichkeit" - so Müller - voraussagte. Eine ähnliche Stoßrichtung hat die Metapher von einem neuen Pfingsten, also einem Glaubensfest, bei dem alle Menschen durch eine äußere Kraft befähigt werden, einander zu verstehen. Allerdings gebe es hier einen entscheidenden Unterschied zur Überlieferung des Neuen Testaments: "Die originale Pfingstgeschichte hält eigens fest, alle hätten die Jünger in ihrer - der Hörer - eignen Muttersprache reden hören. Das ist ein schieres Wunder an Kommunikation, dem der binäre Code der medialen Universalsprache uneinholbar unterlegen ist", so Müller.

Auch wenn religiöse Metaphern verwendet werden, den Inhalten des Glaubens kann die Cypher-Philosophie mitunter drastisch widersprechen. Am deutlichsten wird dies im Menschenbild, das christliche Religion und Cyber-Theoretiker vertreten. "Immer wieder wird der Mensch in Analogie zu Soft- und Hardware als ,Wetware', als ,Wassersack' bezeichnet. In einem perfekten Techniksystem wird er als größte Fehlerquelle angesehen. Damit wird das menschlich-leibliche deutlich herabgemindert", verdeutlicht Müller seine Überlegungen. Während die meisten Religionen den Menschen als inperfektes Wesen akzeptierten, gingen die Cyber-Theoretiker davon aus, dass diese Fehlerquellen einfach ausgeschaltet werden müssten. "Sie liegen damit auf einer Linie mit Nietzsche, der die Schwachen, die die Starken nur aufhalten, marginalisieren wollte." Durch das Bewusstsein jener, die mit den neuen Medien umgehen, sickere nach und nach eine bestimmte Haltung in die Gesellschaft ein. "Virtuelle Welten vermitteln das Gefühl, alles sei möglich", erklärt Müller. Manche Theoretiker seien überzeugt, dass jetzt eine wirkliche Ersetzung Gottes durch den Menschen stattfinde.

Aufgabe der Theologie sei laut Müller, zu prüfen, wie religiöse Traditionen in Gebrauch genommen werden und wo Konflikte auftreten können. Aber auch das Potenzial des Cyberspace haben die Kirchen zu nutzen gewusst: Alle großen Religionen sind mit Beratungs- und Besinnungsangeboten im scheinbar unendlichen Cyberspace vertreten.

Seminar für Philosophische Grundfragen der Theologie