Pressemitteilung upm

Vom "Knigge" bis Hitlers "Mein Kampf"

Buchzensur durch römische Inquisition wird in Münster erforscht

Münster (upm), 30. November 2005

[Wolf]
Prof. Dr. Hubert Wolf
Foto: Dominik Höink   

Brennende Scheiterhaufen, zu Tode gequälte Folteropfer, psychopathische Glaubenswächter mit irrem Blick - das verbindet man landläufig mit dem Begriff "Inquisition". Dass eine der Hauptaufgaben der 1542 gegründeten "Heiligen Römischen und Universalen Inquisition" und der 1571 errichteten "Indexkongregation" die Totalkontrolle des Buchmarktes war, ist hingegen nicht im öffentlichen Bewusstsein. Kaum ein Werk, dass die römischen Zensoren nicht untersuchten. Der Bogen spannt sich von Kant über den "Knigge" bis zu Hitlers "Mein Kampf".

Erst seit 1998 ist es für Forscher überhaupt möglich, die bis dahin geheimen Akten zur römischen Buchzensur, die im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre im Vatikan aufbewahrt werden, zu benutzen. In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Langzeitprojekt "Römische Inquisition und Indexkongregation" wird dieses einmalige Archiv neuzeitlicher Wissenskultur an der Universität Münster erforscht. Das Projekt von Prof. Dr. Hubert Wolf und seinen Mitarbeitern hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte römische Buchzensur von 1542 bis 1966, dem Ende des "Index der verbotenen Bücher", zu untersuchen.

Einen ersten Überblick über die umfangreichen und langwierigen Forschungsarbeiten lieferte ein Symposion, zu dem Prof. Wolf Ende November Fachleute aus aller Welt nach Münster geladen hatte. Kardinal Tarcisio Bertone, Erzbischof von Genua und Mitglied der Kongregation für die Glaubenslehre im Vatikan, musste wegen einer plötzlichen Erkrankung sein Grußwort als Schirmherr der Tagung vom münsterschen Bischof Dr. Reinhard Lettmann verlesen lassen. Mit der Öffnung der vatikanischen Archive komme die Kirche nicht nur den rechtmäßigen Bestrebungen der Wissenschaftler nach, sondern diene auch einer vorurteilslosen Deutung der eigenen Geschichte. Bischof Lettmann brachte es auf den Punkt: "Es ist gut, dass der Index der verbotenen Bücher abgeschafft worden ist. In unserer Medienzeit hätte er sowieso keinen Sinn!".

Die wissenschaftspolitische Bedeutung der kirchenhistorischen Forschungsarbeiten an der Westfälischen Wilhelms-Universität würdigte der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker: "Wir sind hier in Münster an einem Ort, an dem all das bestens praktiziert wird: Zusammenschluss als Exzellenzzentrum, Konzentration von Forschern und Geldern, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und weithin Sichtbarkeit, nicht zuletzt dank der prämierten Fähigkeiten von Prof. Wolf als Leibniz-Preisträger und Kommunikatior". Auch für Rektor Prof. Dr. Jürgen Schmidt bildet das DFG-Projekt einen "Meilenstein für die theologische Forschung". Der Verbund von Kirchengeschichte mit anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen erlaube in Münster ein unverwechselbares Forschungsprofil, von dem neue Impulse zur Erforschung des Verhältnisses von Religion und Gesellschaft zu erwarten seien.

Nach den Worten von Prof. Wolf geht es in dieser Grundlagenforschung zunächst um eine Edition aller "Bandi", der Urteilsplakate von Indexkongregation und Inquisition, die alle Titel und Ausgaben der Werke, die in Rom verboten wurden, präzise identifiziert. Zum zweiten wird ein vollständiges Inventar der für die Buchzensur relevanten Akten erarbeitet. Dieses "Systematische Repertorium" bietet einen Überblick über alle Sitzungen der beiden Zensurkongregationen und ihrer Teilnehmer, über alle verhandelten Bücher, über alle Gutachten und Zensuren und letztlich über alle römischen Entscheidungen in Sachen Buchzensur. Drittens werden die Mitarbeiter von Inquisition und Indexkongregation, namentlich die Gutacher, und ihre konkrete Tätigkeit als Zensoren erstmals in der "Prosopographie", einer bio-bibliographischen Datenbank, erschlossen.

Die Forschungen zum 19. Jahrhundert sind abgeschlossen, die Ergebnisse soeben in sieben Bänden im Verlag Ferdinand Schöningh (Paderborn) erschienen. Zur Zeit widmen sich die Forscher der Erarbeitung des 18. Jahrhunderts. Prof. Wolf: "Unser Ziel ist, die gesamte römische Buchzensur von 1542 bis zum Ende des Index im Jahr 1966 aufzuarbeiten. Dazu wird man einen langen Atem brauchen".

Projekt "Römische Inquisition und Indexkongregation"