Pressemitteilung upm

Zahl der Kinder geht drastisch zurück

Experten für Reproduktionsbiologie und -medizin tagten in Münster

Münster (upm), 09. Dezember 2005

Im krassen Widerspruch zur Förderung der Familie durch die Politik stehen die Fakten: Die Gesundheitsreform zwingt sehr viele ungewollt kinderlose Paare, auf eigene Kinder zu verzichten. Mindestens 8.000 IVF-Kinder weniger als im Vorjahr, das ist die traurige Jahresbilanz 2004 der Reproduktionsmediziner.

Der zahlenmäßige Rückgang bei den geborenen Kindern entspricht fast einer Halbierung gegenüber 2003 oder der jährlichen Geburtenrate der gesamten Stadt Köln, wie beim ersten Kongress des Dachverbands Reproduktionsbiologie und -medizin (DVR) deutlich wurde. Rund 400 Teilnehmer trafen sich dabei in Münster. Wie Professor Ricardo Felberbaum, Kempten, als Vorsitzender des IVF-Registers ausführte, wurden im Jahr 2003 immerhin 17.606 Kinder nach assistierter Reproduktion (künstlicher Befruchtung) geboren. In der jüngsten Auswertung (2004) liegen die Berechnungen bei rund 9.800. Ursächlich für diesen massiven Rückgang ist die Tatsache, dass betroffene Paare seit Januar 2004 die Hälfte der Behandlungs- und Medikamentenkosten von In-vitro-Fertilisation (IVF) und Mikroinjektion (ICSI) selbst bezahlen müssen.

Im IVF-Register werden auf Initiative der deutschen Zentren alle IVF- und ICSI-Behandlungen seit Jahren prospektiv erfasst und ausgewertet, so dass die Behandlungsergebnisse transparent sind. Für 2004 weist das Jahrbuch einen drastischen Rückgang der Behandlungszyklen auf 57% aus: Die Gesamtzahl der Zyklen fiel von 107.675 auf 61.724. Dabei sank die Zahl der IVF-Behandlungen am stärksten - auf 42% des Vorjahres - ab, zahlenmäßig entspricht dies den Verhältnissen der frühen 90er Jahre. Auch bei den ICSI-Zyklen ist ein Rückgang um mehr als die Hälfte (50,7%) dokumentiert.

Die Schwangerschaftsraten von 28% pro Transfer können sich in internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Das eigentliche Ziel der Kinderwunschtherapie ist die hohe Sicherheit auf eine Einlings-Schwangerschaft. Dies ist zu erreichen, wenn gezielt nur ein Embryo mit hohem Entwicklungspotenzial (maximal zwei) übertragen wird. Dazu müssen mehrere Embryonen - die Zahl ist individuell festzulegen - weiter kultiviert werden. Dieses Vorgehen ist nach Auffassung namhafter Strafrechtler mit dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) zu vereinbaren, wenn dieses nicht so eng ausgelegt wird wie bisher, so Professor Franz Geisthövel, Freiburg, als Vorsitzender des DVR. Langfristig setzt sich der Dachverband jedoch dafür ein, die sprachlichen Schwächen im ESchG zu beheben, und offene Fragen zur genetischen Diagnostik am Embryo zu klären. Dazu ist es notwendig, ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu erarbeiten, in dem gleichzeitig rationale Rahmenbedingungen für die Samen- und Eizellenspende geschaffen werden.

Die Eizellspende ist auch bei liberaler Auslegung des ESchG im Gegensatz zur Samenspende definitiv verboten. Frauen, denen aus medizinischen Gründen die Eierstöcke entfernt wurden, können hierzulande nicht Mutter werden. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) wiederum, die Paaren mit hohem genetischem Risiko eine "Schwangerschaft auf Probe" ersparen kann, wird nicht durchgeführt. Der "Reproduktionstourismus" ist deshalb für viele Paare die einzige Chance auf eigene Kinder, bleibt aber ein zweischneidiges Schwert, so Dr. Ines Hoppe aus Jena. Beide Verfahren werden im Ausland angeboten, allerdings in unterschiedlicher - und teilweise schlechter - Qualität.

Die Allgemeinbevölkerung steht dabei den umstrittenen oder verbotenen Verfahren gar nicht so ablehnend gegenüber: Im Fall von krankheitsbedingten Gründen stuft mehr als ein Drittel (36%) die Eizellspende als akzeptable legale Lösung ein. Bei Paaren mit Fruchtbarkeits-Störungen liegt der Anteil mit 54% noch weitaus höher, so Dr. Ada Borkenhagen aus Berlin. Für die PID zur Diagnostik von Krankheiten, die zum Tod oder schweren Beeinträchtigungen im frühen Erwachsenenalter führen, sprachen sich sieben von zehn befragten "Normal"-Bürgern aus (69%) und neun von zehn Paaren mit Sterilitäts-Problemen (89%).

Als wichtige Aufgabe stellt sich zunehmend auch der Erhalt der Fruchtbarkeit bei Krebspatienten heraus. Durch die Fortschritte der Onkologie können heute viele Kinder und Erwachsene geheilt werden - oft um den Preis der späteren Fruchtbarkeit. Die Tiefkühllagerung von Samenzellen vor der Therapie ist beim Mann eine akzeptierte Möglichkeit, die inzwischen auch für Jungen ab der Pubertät eingesetzt wird (wobei die Kosten von den Betroffen getragen werden müssen). Bei jüngeren Patienten werden experimentell Stammzellen aus den Hoden eingefroren, erklärte Professor Eberhard Nieschlag aus Münster.

Ebenfalls noch als Experiment zu sehen ist die Tiefkühllagerung von Eierstockgewebe bei Frauen, ergänzt Privatdozentin Dr. Monika Bals-Pratsch aus Regensburg. Auch das Einfrieren von Eizellen ist keineswegs ausgereift. Etabliert dagegen ist die Entnahme von Eizellen, die dann befruchtet werden und vor der Verschmelzung von männlichem und weiblichem Erbgut "im Eis" gelagert werden - wozu allerdings ein fester Partner vorhanden sein muss.

Institut für Reproduktionsmedizin