Pressemitteilung upm

Kampf gegen Krebs mit Substanz aus der Mistel?

Deutsche Krebshilfe fördert Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Münster

Münster (upm), 30. Mai 2006

[Mistel]
Das Forscherteam aus Wissenschaftlern des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik und der Klinik für Allgemeine Chirurgie vor dem FT-ICR-Massenspektrometer, einem wichtigen Großgerät für die Strukturanalyse der Rezeptoren
   

Wenn die Schulmedizin nichts mehr ausrichten kann, greifen viele Krebskranke nach jedem Strohhalm, der ihnen vielleicht doch noch Aussicht auf eine längere Überlebenschance bieten könnte. Spätestens in diesem Moment schlägt dann häufig die große Stunde alternativer Heilmethoden. Bei allen Vorbehalten seriöser Wissenschaftler gegenüber unbewiesenen Heilversprechen fällt aus der breiten Palette unterschiedlichster Angebote auf diesem Sektor doch eines deutlich aus dem Rahmen, und zwar die Misteltherapie. Aufgrund ihrer, zumindest nach bisherigen Beobachtungen, offensichtlich günstigen Beeinflussung des Tumorgeschehens hat die Pflanze mittlerweile zunehmend das Interesse der onkologischen Forschung geweckt. Große Erwartungen werden dabei zurzeit auf Wissenschaftler am Universitätsklinikum Münster (UKM) gesetzt. Hier fördert die Deutsche Krebshilfe mit 240.000 Euro ein Projekt, bei dem Forscher des Instituts für Medizinische Physik und Biophysik sowie der Klinik für Allgemeine Chirurgie den Mechanismen auf der Spur sind, die einen möglichen Einfluss des für seine zellschädigende Wirkung bekannten Mistelinhaltsstoffes Viscumin auf Tumoren im Bauchraum erklären.

Um zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen, wird heutzutage allerdings nicht mit dem natürlichen Viscumin gearbeitet, das unmittelbar aus den Blättern der Mistel gewonnen wird, sondern mit einem gentechnisch hergestellten Produkt, das dem Pflanzeninhaltsstoff sozusagen in reiner Form entspricht und mit ihm von seiner Struktur und allen anderen Eigenschaften her nahezu identisch ist. Wie bei der Herstellung künstlichen Insulins wird dabei die Gensequenz des natürlichen Stoffes in die Erbinformation von Bakterien eingebaut, die dann im Rahmen ihrer Stoffwechselaktivität die Substanz in unbegrenzter Menge produzieren. Das auf diese Weise erhaltene so genannte rekombinante, das heißt gentechnisch hergestellte Produkt (rViscumin) bildet also die Grundlage, um die tatsächliche Wirkung dieser Einzelkomponente eines Mistelextraktes zukünftig bei Krebserkrankungen von Darm, Magen, Bauchspeicheldrüse und Leber zu untersuchen.

Im Mittelpunkt des Interesses des interdisziplinären Teams um Projektleiter Prof. Dr. Johannes Müthing, Strukturbiologe am Institut für Medizinische Physik und Biophysik, steht dabei unter anderem die Frage, wie es zu erklären ist, dass bestimmte Zellkulturen auf die Substanz ansprechen, andere indes überhaupt nicht reagieren. Diese Frage zu klären, sei besonders wichtig, so Müthing, um gezielt solche Patienten für eine Therapie auswählen zu können, bei denen sie dann auch erfolgversprechend erscheint. Nach bisherigen Erkenntnissen macht es also keinen Sinn, dass sie etwa bei jedem Darmkrebs oder bei jedem Tumor der Bauchspeicheldrüse zum Einsatz kommen könnte, sondern vielmehr nur nach vorheriger einschlägiger Überprüfung des Tumorgewebes. Anderenfalls würde die Behandlung nicht nur in sie gesetzte Hoffnungen enttäuschen, sondern möglicherweise sogar großen Schaden anrichten.

Im Rahmen ihrer Untersuchungen auf diesem Gebiet ist das Team aus Naturwissenschaftlern und Medizinern jetzt schon einen wichtigen Schritt weitergekommen. Und zwar versprechen sie sich anhand ihrer Forschungsergebnisse jetzt eine individuelle Voraussage machen zu können, ob dieser oder jener Tumor im Bauchraum auf rViscumin ansprechen könnte oder nicht. Möglich geworden ist diese wichtige vorherige Abklärung durch den Nachweis des Rezeptors, das heißt des Moleküls auf der Zelle, an das der Mistelwirkstoff an seiner Oberfläche bindet. Das heißt, Sinn macht eine rViscumin-Therapie nur dann, wenn dieser Rezeptor im Tumorgewebe in erhöhter Konzentration vorliegt. Die münsterschen Wissenschaftler haben auch erklärt, warum die Identifizierung dieses Rezeptors so wichtig ist. Und zwar stellt dieser die Voraussetzung dafür dar, dass das Pflanzengift überhaupt an die Oberfläche einer Krebszelle bindet, um dann anschließend in das Zellinnere zu gelangen. Dort wirkt es unmittelbar auf die so genannten Ribosomen, das heißt die Eiweißfabriken der Zelle. "Ein einziges Molekül kann in einer Minute zirka 2000 Ribosomen lahm legen", erklärt Müthing. "Das kann die Zelle nicht ausgleichen, was dazu führt, dass sie stirbt", erklärt er den gewünschten Effekt auf die Krebszellen, die auf diese Weise sozusagen ausgehungert werden.

Die anhand von Stichproben von Darm-, Magen, Leber- und Bauchspeicheldrüsentumoren durchgeführten Untersuchungen bedeuten einen hohen analytischen Aufwand. Die verwandten Verfahren reichen dabei von der Immunfluoreszenz-Mikroskopie von Gefrierschnitten und der molekularbiologischen Untersuchung in der Klinik für Chirurgie bis hin zur Massenspektrometrie zur Strukturaufklärung der Rezeptoren im Institut für Medizinische Physik und Biophysik. Dieses Institut verfügt für solche Zwecke über eine hervorragende Geräteausstattung und besonderes Know-how, was nicht zuletzt auch wesentlich zur Förderung des auf zwei Jahre angelegten Projekts durch die Deutsche Krebshilfe beigetragen hat.

Institut für Medizinische Physik und Biophysik