Pressemitteilung upm

Von der Delikatesse zur Volksnahrung

Prof. Dr. Günter Wiegelmann zur Geschichte der Nahrungsmittel

Münster (upm), 08. Juni 2006

[Nahrungsforschung]
Ein Standardwerk der Nahrungsforschung von Günter Wiegelmann
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Beim Einkauf in einem modernen Supermarkt kann der Kunde heute unter einem Dutzend verschiedener Buttersorten aussuchen: sortiert nach Preis, Region oder Land. Vor fünfzig Jahren bekam man im Laden nebenan höchstens zwei verschiedene Sorten. Geht man weiter zurück, musste der Konsument seine Butter noch selber herstellen. Die Vielfalt hat aber schon lange in der Ernährung Einzug gehalten, war doch seit der Antike der Handel mit Gewürzen und Nahrungsmitteln einer der einträglichsten Geschäftszweige.

Essen und Trinken werden aus kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht nur als Befriedigung körperlicher Bedürfnisse betrachtet, sondern auch als Rituale, die gesellschaftliche Werte und Strukturen widerspiegelt. Einer der ersten deutschen Forscher, die sich mit diesem Thema befassten, war Günter Wiegelmann von der Universität Münster mit seinem Buch "Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa. Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert". Er schreibt zu Beginn seines Buches: "Der Volkskundler untersucht, wie die Speisen und Mahlzeiten in den Ablauf des Volkslebens eingefügt sind und ferner, welche Geltung die Speisenelemente und die Mahlzeiten im Glauben und im Wertgefüge der verschiedenen menschlichen Gemeinschaften haben."

Neu eingeführte Nahrungsmittel galten zunächst häufig als Medizin oder als Delikatesse. Erst später wurden sie zur allgemeinen Nahrung und sanken zur Durchschnittskost herab. Heute geht es vor allem um die bequeme Nahrung wie Tiefkühlkost und einer globalen Nahrungskultur, indem internationale Speisen verköstigt werden können. Mit der Einführung neuer Lebensmittel änderten sich auch die Lebensumstände. Die Kartoffel, heute selbstverständliche Beilage, kam im 17. Jahrhundert aus Südamerika nach Europa und veränderte die landwirtschaftliche Bebauung, indem sie die Hirse verdrängte. Zunächst wurde die Kartoffel als Kostbarkeit betrachtet und als besondere Kräfte enthaltendes Nahrungsmittel. Manche Gelehrte hielten sie aber für giftig, und so dauerte es recht lange, bis sie sich durchsetzen konnte: Erst 100 Jahre später war sie die Speise des einfachen Volkes.

Als 1967 das Buch von Prof. Wiegelmann erstmals erschien, leistete es in einem bis dahin kaum bestellten Feld Grundlagenforschung. Es wurde schnell zum Klassiker, der weit über die Fach- und Landesgrenzen hinaus hohe Anerkennung fand. Aufgrund der anhaltend großen Resonanz des Werkes hat Wiegelmann es nunmehr in einer erweiterten Zweitauflage im Waxmann Verlag Münster herausgebracht. Neben zusätzlichen Kapiteln hat der Autor Reaktionen der Fachwelt, ein erweitertes Literaturverzeichnis sowie einen Kartenanhang hinzugefügt.

Wiegelmann beschäftigt sich bereits seit mehr als vierzig Jahren mit ethnologischer Nahrungsforschung. Der ehemalige Direktor des Seminars für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Universität Münster und Ehrenvorsitzende der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe wurde 1928 in Essen geboren. Er studierte Geographie, Germanistik und Volkskunde in Köln und promovierte 1957, zehn Jahre später wurde er habilitiert. 1971 kam Prof. Wiegelmann nach Münster. Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1993 erarbeitete und edierte er in den letzten Jahren wichtige Studien zu Problemfeldern gegenwärtiger Volksmedizin, Nahrungsethnologie sowie theoretische Konzepte der Europäischen Ethnologie.

Günter Wiegelmann: Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa. Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Münsteraner Schriften zur Volkskunde/Europäischen Ethnologie, Band 11, Waxmann Verlag Münster/New York/Berlin/München, 2006, 360 Seiten, 2. erweiterte Auflage, 26 Karten, 54 Euro, ISBN 3-8309-1468-7.

Seminar für Volkskunde / Europäische Ethnologie