Pressemitteilung upm

Nervenwasser abpumpen - Demenz vorbeugen

Neuer Ansatz zur Behandlung des Normaldruck-Hydrocephalus und seiner Folgen

Münster (upm), 19. Juni 2006

Kurze trippelnde Schritte, bei denen die Füße wie Magnete am Boden zu kleben scheinen, sind bei der Erkrankung typisch, allein aber noch kein ausreichendes Indiz. Der Verdacht erhärtet sich jedoch, wenn Anzeichen einer Demenz hinzukommen und erst recht wenn die Betroffenen vielleicht zusätzlich noch unter Harninkontinenz leiden. In einem solchen Fall nämlich liegen die drei klinischen Leitsymptome eines so genannten Normaldruck-Hydrocephalus vor, einer krankhaften Erweiterung der Hirnkammern ohne allerdings den beim klassischen Hydrocephalus ("Wasserkopf") typischen Druckanstieg im Kopf. Da diese Erkrankung häufige Ursache einer Altersdemenz ist, kommt einer effektiven Therapie gerade in einer älter werdenden Bevölkerung besondere Bedeutung zu. Ein viel versprechendes neues Behandlungsverfahren, das Betroffene im Gegensatz zum bisherigen therapeutischen Vorgehen erstmals dauerhaft vor den gefürchteten Folgen der Erkrankung bewahren könnte, schwebt dem an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikum Münster (UKM) tätigen Mediziner Prof. Dr. Hans-Werner Bothe vor.

Die in Kooperation mit der Klinik für Neurologie des UKM entwickelte Idee, für deren klinische Umsetzung Bothe noch einen industriellen Partner sucht, der seine Entwicklung in einen Prototyp überführt und diesen zur Marktreife führt, besteht darin, das sich in den erweiterten Hirnkammern ansammelnde Nervenwasser (Liquor) über eine unter die Bauchhaut implantierte und über einen dünnen Schlauch mit den Hirnkammern verbundene Pumpe kontinuierlich abzuleiten. Anders als beim klassischen Hydrocephalus funktioniert die bewährte Ableitung über ein Ventilsystem nämlich bei der Normaldruck-Version - wenn überhaupt - nur unzureichend. Nur bei knapp einem Drittel der betroffenen Patienten zeigt diese Therapie überhaupt Erfolge. Und auch in diesen Fällen nur zeitlich begrenzt. Denn nach etwa einem Jahr ist laut Bothe mit dem Ventil-Verfahren nichts mehr auszurichten, das Nervenwasser verbleibt in den Hirnkammern, das Gehirn wird zunehmend geschädigt und die Folgen der Erkrankung sind nicht mehr aufzuhalten. Dass das Verfahren beim Normaldruck-Hydrocephalus an seine Grenzen stößt, liegt daran, dass das Ventil druckabhängig funktioniert, sich in der Regel also nur dann öffnet, wenn ein voreingestellter Druck überschritten wird. Da er bei dieser Form der Erkrankung jedoch normal ist, bleibt das Ventil auch bei erweiterten Hirnkammern geschlossen.

Die wichtige Aufgabe des Abtransports überschüssigen Nervenwassers soll nun nach Vorstellungen Bothes eine kleine Pumpe übernehmen. Der Einsatz implantierter Pumpen ist in der Medizin bereits seit Jahren bewährt. So gibt es beispielsweise Medikamentenpumpen, die Medikamente in bestimmten Abständen automatisch oder auch nach Bedarf in den Körper abgeben. Die Pumpen, die Bothe vorschweben, sehen äußerlich genauso aus, nur das Innenleben ist ein anderes. Denn mit der Pumpe soll ja in diesem Fall nichts in den Körper hinein-, sondern im Gegenteil aus ihm beziehungsweise aus dem Gehirn herausgefördert werden. Die runden, etwa einen Zentimeter dicken Titangehäuse mit einem Durchmesser von knapp acht Zentimetern müssten so programmiert werden, dass sie unabhängig vom jeweiligen Hirndruck kontinuierlich eine bestimmte Liquor-Menge aus dem Gehirn abpumpen. Auf diese Weise läge der Nervenwasserpegel in den Hirnkammern immer unterhalb einer kritischen Marge, so dass das Gehirn geschont bleibt und die gefürchteten Folgen eines Normaldruck-Hydrocephalus gar nicht erst auftreten beziehungsweise nicht weiter fortschreiten.

Die Ableitung von Nervenwasser ist nach Worten Bothes deshalb so wichtig, weil das Gehirn ansonsten zunehmend seine natürliche Elastizität verliert und stattdessen immer fester und damit zerstörungsanfälliger wird. "Jeder Pulsschlag ist dann wie ein kleiner Schlag auf das Hirngewebe, weil das Gehirn nicht mehr nachgegeben kann", erläutert Bothe. Durch diese fortwährenden Schläge geht nach und nach immer mehr Hirngewebe zugrunde und wird durch Wasser ersetzt. Und je mehr Wasser da ist, desto härter wird das Gehirn", beschreibt Bothe den gefährlichen Prozess des zunehmenden Absterbens von Hirngewebe, was schließlich die Gangstörungen, die mangelnde Kontrolle über die Blase und die zunehmenden Anzeichen einer Demenz erklärt. Wenn das Wasser jedoch abgeleitet wird, behält das Gehirn seine Elastizität, hält das Pulsieren der Gefäße daher gut aus, das Hirngewebe wird geschont, die Nervenzellen können ihre Arbeit verrichten, Funktionseinbußen sind nicht zu befürchten.

Um betroffenen Patienten diese Behandlung anbieten zu können, muss die Entwicklung aber erst noch technisch umgesetzt und zur Marktreife geführt werden. Dafür hält Prof. Bothe derzeit Ausschau nach einem industriellen Partner, den er von seiner Idee überzeugen kann. Ideal wäre für ihn wegen der Nähe zur Klinik ein mittelständiges medizintechnisches Unternehmen aus dem Münsterland. Lukrativ sein dürfte ein solcher Auftrag allemal. Denn der Normaldruck-Hydrocephalus ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters und wird daher im Zuge des Älterwerdens der Bevölkerung weiter zunehmen.

Klinik für Neurochirurgie