Pressemitteilung upm

Eröffnung des münsterschen Krankenhauses für Simulanten

Europaweit erstes Studienhospital nimmt Betrieb auf

Münster (upm), 16. November 2007

Studienhospital
Praktische Erfahrungen sammeln in realistischer Umgebung - das neue Studienhospital macht es möglich Foto: WWU

Thomas Fischer hat ein Problem. Der 43-jährige Straßenarbeiter trinkt zu viel. "So zwei, drei Flaschen Bier am Tag" räumt er freiwillig ein. Tatsächlich ist es aber das Dreifache. Der Mann ist Alkoholiker. Allerdings ist er das nur gelegentlich - nämlich bei seinen Auftritten im Studienhospital Münster. Fischer, der eigentlich Volker Kuhlhüser heißt und im Hauptberuf Diplom-Pädagoge ist, arbeitet als Simulationspatient für diese Einrichtung. Mit dem Studienhospital Münster will die dortige Medizinische Fakultät die ärztliche Ausbildung reformieren.  

Vom Stethoskopieren über Ultraschalluntersuchungen bis zu komplizierten Operationstechniken müssen Studierende der Medizin eine Vielzahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten lernen. Bisher ist diese praktische Ausbildung auf verschiedene Gebäude, Räume und Zeiten verteilt. Das neue Studienhospital, das die Medizinische Fakultät Münster jetzt in Betrieb genommen hat, bündelt sie nun unter einem Dach. Zudem werden in dem umgebauten Schwesternwohnheim am Malmedyweg künftig eigene und externe Fortbildungen ihren Platz finden. Entscheidend für das Projekt ist aber etwas anderes.  

"Es geht um das situative Lernen", erläutert Studiendekan Dr. Bernhard Marschall. Wie Untersuchungen belegten, sei der Lernerfolg dann am größten, wenn das Lernen in einem realistischen Umfeld erfolge. Für seine Studierenden hat Marschall daher ein Krankenhaus im Kleinen konzipiert, mit allem, was zu einem solchen Gebäude üblicherweise dazugehört. Ob Krankenbetten, Mobiliar, Bodenbeläge oder Türklinken - bis ins Detail entspricht die Ausstattung dem Standard. Selbst die schon etwas zerfledderte Zeitschrift, das Prothesenglas und die Blumenvase auf dem Nachtschränkchen fehlen nicht. So entsteht eine typische Krankenhausatmosphäre, in die die Studierenden eintauchen und die das Erlernte besser haften lässt. Europaweit gibt es nach Recherchen der Initiatoren kein vergleichbares Projekt.  

In einer Hinsicht unterscheidet sich das Studienhospital Münster allerdings von anderen Spitälern: Zwischen zwei Patientenzimmern ist jeweils ein mit Technik vollgepfropfter Beobachtungsraum angeordnet, aus dem heraus das Geschehen nebenan mitverfolgt werden kann. Die Studierenden, die im Patientenzimmer das anwenden, was sie zuvor in der Vorlesung oder im Seminar gehört haben, wissen zwar davon, sehen aber ihre Kommilitonen nicht. Denn die sitzen unsichtbar hinter Spiegelglas, das nur in eine Richtung transparent ist.  

Ein wesentlicher Teil der Ausbildung ist der Einsatz von vermeintlichen Patienten - was dem Studienhospital schon einen Spitznamen eingebracht hat: Krankenhaus für Simulanten. Zusammen mit Volker Kuhlhüser wurden 15 weitere Simulationspatienten ausgebildet - allesamt Mitarbeiter des Theaterpädagogischen Zentrums Münster und daher erfahrene Schauspieler. Sie beherrschen bislang sechs Krankheitsbilder, neben der Leberzirrhose infolge von Alkoholmissbrauch beispielsweise eine chronische Darmentzündung und eine Angina pectoris. In den nächsten Semestern werden weitere Simulanten und Krankheiten dazukommen.  

Worunter die Patienten leiden, wissen die Studierenden noch nicht, wenn sie in deren Zimmer eintreten, denn dies fachgerecht herauszufinden, ist Teil der Aufgabe. Und auch das Eintreten kann schon ein Test sein: "Die einen klopfen an, die anderen nicht", bilanziert Kuhlhüser seine ersten Einsätze als Alkoholiker. Eine Resonanz nicht nur vom betreuenden Professor zu bekommen, sondern auch von den Kommilitonen, der beobachtenden Psychologin und vor allem vom Patienten - das ist einer der zentralen Vorteile des Studienhospitals. Da das gesamte Geschehen gefilmt und den Studierenden eine Aufzeichnung ausgehändigt wird, können sie die Lehrveranstaltung zu Hause in Ruhe nachbereiten.  

Die Medizinerausbildung so praxisnah wie nur möglich zu gestalten, ist nach Ansicht von Studiendekan Marschall notwendiger denn je: "Mit der Änderung der Approbationsordnung im Jahr 2002 haben sich die Anforderungen nochmals deutlich erhöht", erläutert der Chirurg. Mit dem "Arzt im Praktikum" sei die Phase entfallen, in der die Mediziner allmählich in ihren Beruf hineinwachsen konnten. "Heute besteht das Ausbildungsziel, das uns der Staat vorgibt, in einem Arzt, der vom ersten Tag nach der Prüfung an 'berufsbefähigt' ist", ergänzt der Leiter der Studienhospitals Münster, Dr. Hendrik Friederichs.  

Den jetzigen Stand sehen die beiden Mediziner daher nur als Einstieg: Dem nun in Betrieb genommenen pflegerischen Bereich mit seinen sechs Patientenzimmern, drei Beobachtungs- und acht Untersuchungsräumen sollen schon im nächsten Jahr ein Intensivtrakt und eine Ambulanz folgen. Als dritten Ausbauschritt sieht das Konzept des Studienhospitals die Errichtung eines Operationssaales vor.  

Diese beiden Stufen werden deutlich teurer ausfallen als der Patienten- und Seminarbereich, dessen Investitionsvolumen 480.000 Euro beträgt. Wie viel teurer, ist laut Marschall derzeit schwer abzuschätzen, denn wie die erste Ausbaustufe sollen auch die beiden folgenden unter Einbeziehung der Wirtschaft realisiert werden. Hersteller aus dem Baubereich und aus der Medizintechnik bekommen die Möglichkeit, sich an dem Projekt zu beteiligen.  

Die Kooperation hat, so Marschall, Vorteile für beide Seiten: "Die öffentliche Hand spart Kosten. Anderseits kann die Industrie ihren Kunden hier sehr gut ihre Produkte präsentieren, da sie reale Bedingungen vorfindet, aber keine Arbeitsabläufe stört." Dass das Studienhospital Münster in der Wirtschaft auf Interesse stößt, beweist schon der Start: Fast 100.000 Euro sind dem Projekt bereits als Sponsorengeld zugeflossen.  

Medizinische Fakultät der WWU