Pressemitteilung upm

Der aufrechte Gang

Volkswagen-Stiftung unterstützt "Opus magnum" des Philosophen Prof. Dr. Kurt Bayertz

Münster (upm), 30. Januar 2008

Er geht und geht und geht. Selbstverständlich laufen die Menschen durchs Leben. Nur die nachdenklichen unter ihnen versuchen zu ergründen, was es bedeutet, dass der Mensch als eines der ganz wenigen Lebewesen fähig ist, sich nur auf seinen zwei Beinen fortzubewegen. Einer von ihnen ist der Philosoph Prof. Dr. Kurt Bayertz vom Philosophischen Seminar der Universität Münser. Sein "Opus magnum" zum Thema "Glanz und Elend des aufrechten Ganges" wurde von der Volkswagen-Stiftung für anderthalb Jahre mit 150.000 Euro gefördert.  

Für sein "großes Werk" hat Bayertz zehn Jahre lang systematisch Material gesammelt. Die Überlegungen zum Wesen des Menschen beleuchten zweieinhalb Jahrtausende Geistesgeschichte. "Die Philosophie, aber auch die Theologie und die Naturwissenschaften haben sich seit der Antike immer mit dem aufrechten Gang des Menschen beschäftigt", so Bayertz. In der antiken Philosophie galt der aufrechte Gang als ein Zeichen der besonderen Stellung des Menschen in der Welt. Der Mensch habe am Göttlichen teil, sei diesem verwandt und gehe daher aufrecht. "Das war natürlich ein Zirkelschluss", gibt Bayertz zu. "Woher sollten wir denn wissen, dass die Götter aufrecht gehen?" Sein Ehrgeiz ist es, aus zweieinhalb Jahrtausenden Menschheitsgeschichte die wichtigsten Motive und Deutungen des aufrechten Ganges herauszuarbeiten. "Daraus lässt sich eine Geschichte des anthropologischen Denkens im Allgemeinen erarbeiten", meint Bayertz.  

In der Antike wurde der aufrechte Gang in Bezug zum Kosmos gesetzt, weil nur der Mensch in der Lage war, die Sterne zu sehen und zu "deuten". So wurde der Mensch zum Wesen, dass seinen Ursprung nicht auf der Erde, sondern im Kosmos hat. "In dieser Deutung liegt schon ein religiöses Element, denn nach antiker Auffassung sind die Sterne göttlich. Der Mensch, der Astronomie betreibt und den Himmel betrachtet, blickt auf zu den Göttern und hält eine Art Gottesdienst", so Bayertz. Doch eine dritte Art der Deutung bringt den Menschen wieder auf die Erde. Nur dadurch, dass er aufrecht gehen kann, hat er die Hände frei, kann die Welt verändern und wird so zum "Sonderwesen".  

Bayertz interessieren vor allem die Umbrüche im Denken. Da ist zum einen der Übergang von der Antike zum Christentum. Das theologische Denken tritt in den Vordergrund, die Gottesebenbildlichkeit wird wichtiger. "Doch das war ein zweischneidiges Schwert. Denn der aufrechte Gang stand zwar für die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott, aber auch für Stolz und Erhabenheit - ein Dilemma, dem die damaligen Theologen dadurch zu entkommen suchten, indem sie betonten, dass der Mensch innerlich verkrümmt sei." Mit dem Beginn der Neuzeit bekam dann die naturwissenschaftliche Deutung, dass der Mensch nur durch den aufrechten Gang zu bestimmten Tätigkeiten befähigt sei, wieder mehr Gewicht. Die Sonderstellung des Menschen allein durch den aufrechten Gang ist heute umstritten, doch die symbolische Bedeutung hat sich bis heute erhalten: "Kopf hoch!", "Zeig Rückgrat!", "Kriech' nicht!" - wer nicht aufrecht geht, ist von niederer moralischer Gesinnung.  

Von hoher wissenschaftlicher Gesinnung ist für Bayertz die VW-Stiftung: "Das Programm ist genau das, was die Geisteswissenschaften brauchen. Uns fehlt es nicht unbedingt an Geld, denn wir sind billig. Was wir brauchen, ist Zeit, denn Lesen und Denken kann man nicht anderen übertragen, das muss man selbst erledigen." Und genau dafür ist das Geld der VW-Stiftung gedacht. Ein Professor kann sich ganz seinem Forschungsgebiet widmen, während seine Vertretung von der VW-Stiftung finanziert wird. Dadurch wird zugleich der Nachwuchs gefördert, da die Vertretung durch einen Wissenschaftler erfolgen muss, der noch keine feste Stelle hat.  

Prof. Dr. Kurt Bayertz