Pressemitteilung upm

Von Schweinehaufen und Alien-Fängern

Sportwissenschaftler der WWU Münster konzipierten Bewegungsstunden für Jungen

Münster (upm), 11. Februar 2009

Raufen und Rücksichtnahme gingen bei den Bewegungsstunden für Jungen miteinander einher.
Raufen und Rücksichtnahme gingen bei den Bewegungsstunden für Jungen miteinander einher. Foto: upm

„Cool, Aliens fangen“, kreischen zwölf Jungen in der Turnhalle der Grundschule Kinderhaus West. Sie springen auf und sprinten los. Einer von ihnen ist der Fänger. Wer von ihm erwischt wird, schmeißt sich auf den Boden und wartet auf seine Kumpels, die ihn an Armen und Beinen packen, zur Weichbodenmatte tragen und ihn drauf werfen. Dann ist er gerettet und kann wieder rennen. Unter Aufsicht von Studierenden der WWU Münster dürfen die Jungen der Klasse 1a in der speziell für sie konzipierten Stunde balgen – natürlich nach ganz bestimmten Regeln, wie Prof. Dr. Nils Neuber vom Arbeitsbereich Sportdidaktik des Instituts für Sportwissenschaft betont.

Er leitet das Projekt „Förderung von Jungen durch Bewegung, Spiel und Sport“, das im vergangenen Wintersemester in Kooperation mit der Grundschule Kinderhaus West, der Lukas-Kindertageseinrichtung, der Baumbergeschule Havixbeck, dem Michael-Kindergarten I und der Realschule Roxel stattfand. Ziel war es, Förderangebote für Jungen durch Bewegung, Spiel und Sport zu entwickeln. Statt gemeinsame Sportstunden abzuhalten, wurden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet. 16 Studierende gestalteten acht bis zehn jungengerechte Doppelstunden in den beteiligten Einrichtungen.

„Jungen sind die Sorgenkinder der Nation“, sagt Prof. Neuber. Jahrelang habe die Wissenschaft die Mädchenförderung erforscht. Doch dann kam die Pisa-Studie, bei der Jungen besonders schlecht abschnitten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt habe sie die Pädagogik stärker in den Fokus genommen. Anders als Mädchen bewegten sich Jungen etwa viel mehr, seien lauter und konkurrenzbewusster, so Prof. Neuber. „Unser Zugang zu dem Thema ist der Sport.“ Rund 90 Prozent aller Jungen in Deutschland seien Mitglied im Sportverein, Sport sei häufig das Lieblingsfach in der Schule.

Die Bezugspersonen der Jungen seien im Kindergarten und der Grundschule meistens weiblich und nicht immer auf die wilden Seiten ihrer männlichen Schüler vorbereitet. „Wir waren uns dieser Problematik bewusst“, sagt Karin Herzog, Leiterin der Grundschule Kinderhaus West und Sportlehrerin. Deshalb habe sie das Projekt sofort unterstützt. Auch das Kollegium, die Eltern und besonders die Kinder seien begeistert gewesen. Ein positiver Nebeneffekt der Jungen-Sportstunden sei, dass man sich in dieser Zeit auch den Mädchen stärker habe widmen können.

In Spielen wie „Aliens fangen“ oder „Schweinehaufen“ ging es nicht nur um Kraft und Stärke, sondern auch um Sensibilität und Vorsicht. Beim „Schweinehaufen“ liefen alle Jungen durch die Halle und warfen sich auf Kommando aufeinander. „Dabei ging es auch um Rücksicht“, erklärt Nils Kaufmann, der das Projekt als studentischer Mitarbeiter begleitete. Um ihnen die Scheu vor tänzerischen Bewegungen vor ihren Klassenkameraden zu nehmen, tanzten die Jungen in Tanzsäcken oder Bettlaken. In anderen Stunden stand Körperkontakt auf dem Programm, etwa in Form einer Begrüßung beim Durcheinanderlaufen mit Händen, Stirn oder Füßen. Auch Ringen und Raufen war nach ganz bestimmten Regeln erlaubt. Kaufmann schmunzelt: „Dass sie eine Stunde balgen dürfen, war den Jungs unbekannt.“

Die Studenten Matthias Wilksen und Keno Hofmayer kümmern sich um die Schüler der Klasse 1a an diesem Tag zum letzten Mal. Sichtlich stolz sind die Jungen auf ihre großen Betreuer. Der eine hängt Hofmayer am Arm, der andere tätschelt Wilksen liebevoll den Rücken. Wenn man sie nach ihrer Meinung fragt, dann könnte der Unterricht so weiter gehen. „Mädchen schreien immer so, und wir schreien nicht“, meint der sechsjährige Fernando und hat auch eine Erklärung parat: „Das kommt, weil Mädchen Angst haben und wir nicht.“ Toll seien die vielen neuen Spiele gewesen, findet der siebenjährige Ahmed.

Auch die Studierenden haben neue Eindrücke mitgenommen: „Was ich hier gemacht habe, war sehr praxisnah“, lobt Kaufmann. Zur Zeit läuft noch eine Evaluation des Projektes. Erste Ergebnisse erwartet Prof. Neuber im Frühjahr. Langfristig sei es Ziel, das in den Sportstunden gewonnene Wissen anderen Lehrern zur Verfügung zu stellen.

Institut für Sportwissenschaft