Pressemitteilung upm

"Das ist für mich fast unvorstellbar"

Erster Band zur Geschichte der Mathematik an der WWU erschienen

Münster (upm), 17. März 2009

Prof. Dr. Norbert Schmitz (l.) und Prof. Dr. Jürgen Elstrodt überreichten Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles den Band.
Prof. Dr. Norbert Schmitz (l.) und Prof. Dr. Jürgen Elstrodt überreichten Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles den Band. Foto: WWU

Jedes Fach hat seinen eigenen Platz in der Gesellschaft. Und so muss auch jedes Fach seinen eigenen Umgang mit der Gesellschaft finden. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Universität Münster ist mühsam – weil viele kleine Mosaiksteinchen zusammen getragen und bewertet werden müssen. Ein weiteres Steinchen ist dieser Tage erschienen: die „Geschichte der Mathematik an der Universität Münster. Teil I: 1773-1945“ der beiden emeritierten Professoren Dr. Jürgen Elstrodt und Dr. Norbert Schmitz.

Die Mathematik gehörte zu den ersten Fächern, die an der Universität Münster gelehrt wurden. Noch vor der offiziellen Gründung im Jahr 1780 wurden in der Vorbereitungsphase 1773 sieben der acht vorgesehenen Professuren der Philosphischen Fakultät besetzt – darunter eben auch die für Mathematik, auf die Caspar Zumkley berufen wurde. Elstrodt und Schmitz versuchen aus den kargen Quellen ein lebendiges Bild zu zeichnen, stets eingebettet in das Bild der Gesellschaft, in der die Mathematik ihren Platz fand. Preußischer Kulturkampf, Kaiserreich und Weimarer Republik bilden den Hintergrund für die Entwicklung der münsterschen Mathematik.

Auch eine scheinbar so theoretische Wissenschaft wie die Mathematik blieb von den Zeitläuften nicht unbeeinflusst. Deutlich wird dies vor allem im Nationalsozialismus. Die münstersche Mathematik erlebte hier mit nur zwei Ordinarien einen wissenschaftlichen Aufschwung – und das, obwohl sie nicht mit den Machthabern konform gingen. „Es ist für mich fast unvorstellbar, ich hätte das nie geschafft“, beschreibt Autor Schmitz die Haltung von Prof. Dr. Heinrich Scholz. Der verwendete sich für den Krakauer Theologen Jan Salamucha und den Warschauer Logiker Jan Lukasiewicz. Scholz, der sowohl seine Dissertation wie auch seine Habilitation in der Theologie geschrieben hatte und erst später zur mathematischen Logik wechselte, riskierte sein Ordinariat und damit seine berufliche Zukunft. „Er wusste nicht, wie sich alles entwickeln würde und hat sich trotzdem für diese Menschen eingesetzt“, sagt Schmitz mit Bewunderung in der Stimme.

Die beherrschende Figur am Institut war Prof. Dr. Heinrich Behnke. Der Ordinarius verfügte, so die Einschätzung von Schmitz, über außerordentliches Organisationstalent. Er war es, der die wenigen Studierenden – aufgrund des Krieges waren es mehr Frauen als Männer – für neue mathematische Ideen zu begeistern wusste. Noch bis in die 1940er Jahre versuchte er, den Kontakt mit ausländischen Kollegen zu halten, sei es nun, dass er zu Kongressen ins Ausland reist, sei es, dass er ausländische Kollegen zu Gastvorträgen einlud. Nicht nur aufgrund seiner ersten, im Kindbett verstorbenen Frau, die Jüdin war, galt er den nationalsozialistischen Machthabern als unzuverlässig. Bereits 1934 wurde versucht, ihn aus dem Amt zu drängen.

Der erste Band der Geschichte der Mathematik der Universität Münster reicht bis zum Zusammenbruch der NS-Herrschaft. Nicht minder interessant dürfte der zweite Band werden: Behnke wurde von den britischen Besatzunsbehörden als Chef des Entnazifizierungskomitees an der Universität Münster eingesetzt.

"Geschichte der Mathematik an der Universität Münster: 1773 bis 1945", Jürgen Elstrodt/Norbert Schmitz, erhältlich im Mathematischen Institut, Einsteinstr. 62, zwölf Euro

Geschichte der Mathematik an der WWU