Münster (upm), 03. Juli 2009
Die Europäische Kommission fördert das neue
Forschungsprojekt „PolyModE", das an der Universität Münster koordiniert wird,
in den kommenden vier Jahren mit insgesamt sechs Millionen Euro. Bei dem
Projekt sollen neuartige Enzyme entwickelt werden, um bestimmte komplexe
Zuckerverbindungen in der Lebensmittelindustrie und für technische und medizinische
Anwendungen optimal zu nutzen. Neben dem federführenden Team um Prof. Dr. Bruno
Moerschbacher vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der Pflanzen der
WWU sind Universitäten und Forschungsinstitute sowie multinationale Firmen und
kleine Biotechnologie-Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Dänemark,
Holland, Schweden und Bulgarien beteiligt. Die Münsteraner erhalten für ihr
Teilprojekt rund 800.000 Euro.
Polysaccharide („Vielfachzucker") sind mit großem Abstand
die häufigsten Biomoleküle. Zu ihnen gehören alltägliche Substanzen wie Stärke
aus Kartoffeln oder Zellulose aus Baumwolle. Neben solchen einfach aufgebauten Polysacchariden,
in denen ein bestimmtes Zuckermolekül in einer langen Kette vielfach
hintereinander vorkommt, gibt es auch sehr komplexe Polysaccharide, die aus
vielen verschiedenen Zuckermolekülen zusammengesetzt sind - beispielsweise Pektin, das
Marmelade gelieren lässt. Solche komplexen Zuckerverbindungen, die auch als Hydrokolloide
bezeichnet werden, sind vor allem in der Lebensmittelindustrie wichtige Hilfs-
und Zusatzstoffe. Sie werden überwiegend aus Pflanzen und Algen gewonnen.
In vielen Fällen werden die Hydrokolloide mit den besten
Eigenschaften nur von ganz bestimmten Organismen gebildet und stehen daher nur
in begrenztem Umfang zur Verfügung. Das Projekt soll daher dazu beitragen, neue
Quellen für bekannte Hydrokolloide zu erschließen. Ein Beispiel: Die Forscher
wollen bestimmte Enzyme - jene biologischen Werkzeuge, die einige seltene
Rotalgenarten zur Produktion des hochwertigen Hydrokolloids „Carrageenan"
verwenden - isolieren. Mit Hilfe moderner molekulargenetischer Methoden wollen
sie diese Enzyme dann so optimieren, dass sie in einem biotechnologischen
Prozess verwendet werden können, um das weniger wertvolle Carrageenan anderer,
weitverbreiteter Rotalgenarten in das hochwertige Produkt der seltenen Algen zu
verwandeln.
Auch im menschlichen Körper spielen Hydrokolloide eine
wichtige Rolle. „Zucker sind Meister der Vielfalt. Sie können zahllose
Strukturen ausbilden, und in den unterschiedlichen Strukturen steckt
Information", sagt Prof. Moerschbacher. So erkennt zum Beispiel das Immunsystem
Krankheitserreger oft an deren typischen Zuckerverbindungen. „Die Sprache der Zucker ist
weit komplexer als die der Gene oder Proteine, und wir können sie bisher kaum
lesen und noch viel weniger verstehen", so Prof. Moerschbacher. „Wenn wir uns
diese Sprache zunutze machen wollen, müssen wir zudem auch lernen, sie zu
schreiben."
Bislang sind nur wenige ‚Wörter' dieser Zuckersprache
bekannt, darunter eine Zuckerverbindung, die im menschlichen Blut die Gerinnung
hemmt. Sie wird unter anderem bei Thrombosepatienten eingesetzt, kann bislang
jedoch nur in einem sehr aufwändigen und teuren Verfahren hergestellt werden.
In dem neuen Projekt wollen die Wissenschaftler nun die „Schreib- und
Lesewerkzeuge" der Körperzellen finden - jene Enzyme, die den Gerinnungshemmer
produzieren beziehungsweise seine „Regieanweisung" umsetzen. Die Forscher
wollen diese Enzyme mit molekulargenetischen Methoden in größeren Mengen und in
hochreiner Form produzieren, ihre Eigenschaften studieren und sie für die
Bedingungen einer zellfreien Synthese oder einer Modifikation komplexer
Zuckerstrukturen optimieren.
Die Arbeiten im Projekt PolyModE („Polysaccharide Modifying
Enzymes") können möglicherweise auch neuartige komplexe Zuckerverbindungen mit noch weiter
verbesserten Eigenschaften hervorbringen. „Wenn wir beispielsweise verstehen, wie
menschliche Zellen bestimmte Blutgerinnungshemmer produzieren oder warum sie
auf bestimmte Substanzen mit einer Stimulation des Immunsystems reagieren, dann
können wir mit Hilfe von optimierten Enzymen ‚Designer-Zucker' herstellen, die
gezielt die Blutgerinnung hemmen oder zum Beispiel die Wundheilung unterstützen" sagt Prof.
Moerschbacher. „Solche spezifisch wirksamen komplexen Polysaccharide, die
vollständig biologisch hergestellt sind, haben in vielen Bereichen ein enormes
Potenzial", ist er sich sicher. „Sie werden vom menschlichen Körper gut
vertragen und in der Umwelt leicht abgebaut."