Pressemitteilung upm

Biologische Matroschka

Forscher untersuchen Wechselspiel zwischen Stichling und Bandwurm

Münster (upm), 21. August 2009

Ein Dreistachliger Stichling, Forschungsobjekt der münsterschen Evolutionsbiologen.
Ein Dreistachliger Stichling, Forschungsobjekt der münsterschen Evolutionsbiologen. Foto: WWU -Grewer
Ein toter Stichling mit eröffneter Leibeshöhle, aus der sich ein Bandwurm herausbewegt.
Ein toter Stichling mit eröffneter Leibeshöhle, aus der sich ein Bandwurm herausbewegt. Foto: Martin Kalbe

Das Leben des Bandwurms Schistocephalus solidus ist kompliziert. Frisch aus dem Ei geschlüpft, bewegt er sich frei im Wasser. Er muss von einem millimetergroßen Ruderfußkrebs gefressen werden, um in dessen Innern wachsen zu können. Nach einigen Wochen wird er erneut verspeist. Diesmal muss der Räuber ein Dreistachliger Stichling sein, der den Krebs mitsamt Wurm verschluckt. In keinem anderen Fisch kann sich der Wurm weiterentwickeln. Schließlich muss der Stichling mit dem Bandwurm von einem Vogel gefressen werden. In dessen Darm produziert der Wurm Eier, die mit dem Vogelkot wieder ins Wasser gelangen. Dort beginnt der Kreislauf von vorn.

Münstersche Forscher untersuchen einen Teil dieses komplizierten Entwicklungsprozesses, nämlich das Wechselspiel zwischen Wurm und Fisch. „Dieser Zyklus beinhaltet eine lange, sehr spezifische gegenseitige Anpassung von Bandwurm und Stichling im Laufe der Evolution", erklärt Dr. Jörn Scharsack vom Institut für Evolution und Biodiversität (IEB) der Universität Münster. „Das ist der Grund, warum uns gerade dieses Modell interessiert." Das münstersche Team um Scharsack will gemeinsam mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön herausfinden, welche Gene an dem Wechselspiel beteiligt sind, also zum Beispiel, welche Gene bei der Antwort des Immunsystems des Stichlings aktiviert werden.

So kompliziert der Bandwurm-Kreislauf ist - die münsterschen Forscher interessiert es besonders, wenn die ganze Angelegenheit noch verzwickter wird und das Geschehen bei verschiedenen Umweltbedingungen verglichen wird. Bei steigenden Temperaturen, so die Vermutung, verändert sich das Wechselspiel zwischen Stichling und Bandwurm. „Was passiert, wenn die Temperaturen zu hoch werden? Ab wann gibt es negative Auswirkungen auf das Immunsystem der Fische? Und wie reagiert der Parasit?", sind Fragen, die Scharsack stellt.

Neben unmittelbaren Effekten einer Temperaturerhöhung - zum Beispiel eine Aktivierung des Immunsystems - interessieren die Forscher Anpassungen an veränderte Temperaturen, die auf genetischer Ebene stattfinden und über die Generationen vererbt werden. Unter anderem vergleichen die Wissenschaftler dazu einheimische Stichlinge und Bandwürmer mit solchen, die aus kälteren Regionen in Norwegen stammen. Die Forschungsergebnisse sollen auch Antworten auf die Frage geben, welche Auswirkungen auf das sensible Wirt-Parasit-Verhältnis eine Erwärmung im Zuge des Klimawandels haben könnte. Für ihre Untersuchungen halten die münsterschen Forscher Ruderfußkrebse und Stichlinge mitsamt Bandwürmern in temperaturregulierten Aquarien. Ganz so kompliziert wie in der Natur ist es im Labor nicht: Statt des Endwirts Vogel tut es für die Würmer dort auch ein Fläschchen mit Zellkulturmedium.

Das Forschungsprojekt ist Teil des im Juli 2009 gestarteten Schwerpunktprogramms „Wirt-Parasit-Koevolution" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das an der Universität Münster von Prof. Dr. Joachim Kurtz vom IEB koordiniert wird. Die DFG unterstützt das Projekt für drei Jahre mit insgesamt rund 4,5 Millionen Euro. Die Münsteraner, die an fünf von insgesamt 19 Forschungsprojekten beteiligt sind, erhalten davon etwa 1,5 Millionen Euro.

Scharsack / IEB DFG - SPP