Pressemitteilung upm

"Sexualmoral und Priesterbild überdenken"

Münstersche Theologie-Professoren zu Konsequenzen aus der Missbrauchsproblematik

Münster (upm), 04. Mai 2010

Prof. Dr. Marie-Theres Wacker, Prof. Dr. Thomas Schüller, Prof. Dr. Antonio Autiero, Viola van Melis, Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Prof. Dr. Judith Könemann und Prof. Dr. Reinhard Feiter (v.l.n.r.)
Prof. Dr. Marie-Theres Wacker, Prof. Dr. Thomas Schüller, Prof. Dr. Antonio Autiero, Viola van Melis, Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Prof. Dr. Judith Könemann und Prof. Dr. Reinhard Feiter (v.l.n.r.) Foto: WWU

Die katholische Kirche sollte nach Ansicht von münsterschen Theologinnen und Theologen angesichts des Missbrauchsskandals ihre Sexualmoral und ihr Priesterbild überdenken. "Das Thema Sexualität muss offen, angstfrei und wertschätzend diskutiert werden. Jeder muss sagen können, was er denkt", erklärte Moraltheologe Prof. Dr. Antonio Autiero am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. In der Kirche herrsche weitgehend Sprachlosigkeit über sexuelle Themen, beklagten auch Prof. Dr. Marie-Theres Wacker aus der Theologischen Frauenforschung und Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins. Das habe oft sexuelle Reifungsprozesse behindert und einen angemessenen Umgang mit sexuellen Störungen wie Pädophilie verhindert.

Pastoraltheologe Prof. Dr. Reinhard Feiter benannte ein bestimmtes Priesterbild als Hintergrund der zutage getretenen Missbrauchsfälle: Weil Kleriker stets als "sakrosankte Figuren" angesehen worden seien, habe sich lange Zeit niemand vorstellen können, dass manche von ihnen sexuelle Gewalt an Kindern ausgeübt hätten. "Was nicht sein durfte, das konnte auch nicht sein. So wurde die Opferperspektive ausgeblendet."

Kirchenrechtler Prof. Dr. Thomas Schüller forderte die kirchlich Verantwortlichen zur konsequenten Aufklärung aller Missbrauchsfälle auf. "Wichtig ist, dass das Schweigen nun erstmals gebrochen wurde und den Opfern geglaubt wird. Alles muss auf den Tisch." Die insgesamt sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten zu der Podiumsdiskussion unter der Überschrift "Kirche und Missbrauch - Die Theologie darf nicht schweigen" eingeladen. An der Veranstaltung im überfüllten Hörsaal nahmen knapp 500 Zuhörer teil.

Bis zum Jahr 2002 haben die deutschen Diözesen nach Einschätzung von Kirchenrechtler Schüller zu wenig zur Aufklärung von Missbrauch getan. Das habe sich inzwischen aber zum Positiven verändert. Die Bistümer sollten nach seiner Einschätzung nicht nur kirchliche Mitarbeiter als Ansprechpartner anbieten. "Viele Opfer wollen gerade nicht mit Priestern über ihre Gewalterfahrungen sprechen." Entscheidend sei es, den Opfern und ihren Familien Therapien zu ermöglichen. Um finanzielle Entschädigungen gehe es den meisten Leidtragenden hingegen nicht.

Religionspädagogin Prof. Dr. Judith Könemann erläuterte, wie es zu zahlreichen Missbrauchsfällen in kirchlichen Bildungseinrichtungen kommen konnte. "Schulen und Internate bilden geschlossene Systeme mit einer eigenen Dynamik. Sie leben oft von Geheimnissen, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl bewirken, und von Elitedenken. Dies führte oft zu Schweigen." Auch habe das autoritäre Bild von Lehrern und Priestern an christlichen Schulen dazu geführt, dass missbrauchte Kinder sich nicht hätten befreien können. Religionspädagogin Könemann und Sozialethikerin Heimbach-Steins forderten Seelsorger und Pädagogen auf, sich ihre Machtposition in Seelsorge und Schule bewusst zu machen. Es gehe künftig um ein "Ethos der Leitung".

Sozialethikerin Heimbach-Steins betonte, neben der individuellen Schuld von Tätern gebe es auch eine "strukturelle Sünde" der Kirche als Institution. Diese theologische Kategorie müsse die katholische Kirche nun auch auf sich selbst anzuwenden lernen. Sie müsse die Vorstellung von einer "vollkommenen Gemeinschaft" aufgeben, die trotz des Zweiten Vatikanischen Konzils immer noch stark ihr Selbstbild präge. "Die Kirche steckt in einer Vertrauenskrise. Glaubwürdigkeit kann sie nur zurückgewinnen, wenn sie den Vorrang des Institutionenschutzes und die Angst vor Nestbeschmutzung überwindet."

Mit Blick auf die Sexualmoral sind Theologie und Kirche nach Ansicht der Theologinnen und Theologen gleichermaßen in der Verantwortung, neue Ansätze zu entwickeln. Diese dürfe nicht länger auf Fortpflanzung und Ehe reduziert werden, sondern müsse um eine Ethik der zwischenmenschlichen Beziehungen erweitert werden, erklärten Autiero und Wacker. Pastoraltheologe Feiter fügte hinzu, angehende Priester müssten sich ihrer Sexualität stellen und die Fähigkeit zu einem empathischen Umgang mit anderen entwickeln. Es sei wichtig, dass sie die Intimsphäre anderer respektierten, aber auch ihre eigene schützen könnten.