Pressemitteilung upm

Der Bundespräsident und die WWU - eine enge Beziehung

Wird Wulff Kuratoriums-Vorsitzender der "Hermann-Kunst-Stiftung"?

Münster (upm), 01. Juli 2010

Möglicherweise bald direkt mit der WWU verbunden: der neu gewählte Bundespräsident Christian Wulff.
Möglicherweise bald direkt mit der WWU verbunden: der neu gewählte Bundespräsident Christian Wulff. Foto: Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

Die beiden Uhren rechts und links vom Bundesadler waren soeben auf 18.40 Uhr umgesprungen, als sich im Deutschen Bundestag unüberhörbar Unmut breitmachte. Der Fraktionschef der Unionsparteien, Volker Kauder, stellte sich im Plenarsaal vor die 644 von CDU und CSU nominierten Wahlmänner und Wahlfrauen und rief ihnen zu: "Der dritte Wahlgang verzögert sich erneut. Die Linke braucht noch mehr Beratungszeit. Wer will, kann den Saal verlassen - wir sind doch nicht deren Statisten." Knapp sieben Stunden dauerte die 14. Bundesversammlung bereits zu diesem Zeitpunkt, die große Mehrheit der 1244 Teilnehmer sehnte sich längst nach einem schnellen Ende. Entsprechend fielen die Reaktionen auf Volker Kauders Verzögerungs-Neuigkeit aus: "Auch das noch", "Muss das sein?", "Mist".

Und es sollte weitere zweieinhalb Stunden dauern, bis um 21.13 Uhr endlich feststand: Der CDU-Politiker Christian Wulff folgt auf Horst Köhler und ist damit der zehnte Bundespräsident. Die CDU-FDP-Regierungskoalition scheint gerettet, Deutschland hat wieder ein Staatsoberhaupt. Die Wahl des Niedersachsen Wulff ist aber auch für die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster, speziell für den Fachbereich Evangelische Theologie, von Bedeutung: Denn im kommenden Jahr wird sich entscheiden, ob Horst Köhler für fünf weitere Jahre den Kuratoriums-Vorsitz der "Hermann-Kunst-Stiftung zur Förderung der neutestamentlichen Textforschung" übernimmt. Sollte der Präsident a.D. diesen Wunsch ablehnen, würde die Stiftung den Katholiken Christian Wulff um eine Amtsübernahme bitten - in der großen und wohl auch berechtigten Hoffnung auf eine Zusage.

Der neue Präsident und die WWU - möglicherweise eine wunderbare Zukunfts-Beziehung. Die beiden anderen Präsidentschafts-Bewerber von SPD und Grünen sowie der Linkspartei, Joachim Gauck und Lukrezia Jochimsen, wissen dagegen schon lange die Forschungsleistungen der WWU zu schätzen. So eröffnete der evangelische Theologe und erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen im Oktober 2008 eine Ringvorlesung des Exzellenzclusters "Religion und Politik" mit einem Vortrag über "Wahrheit und Versöhnung". Die ehemalige Fernsehjournalistin "Luc" Jochimsen wiederum promovierte 1961 an der WWU bei Helmut Schelsky, einem der einflussreichsten Soziologen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte mit einer Arbeit über "Zigeuner in einer deutschen Mittelstadt". Joachim Gauck lobt noch heute die münstersche Hochschule: "Eine großartige Universität in einer sehr schönen Stadt."

Der 70-jährige Rostocker, den ein größerer Teil der Bevölkerung nach seinem Abschied aus der "Gauck-Behörde" im Jahr 2000 bereits mehr oder weniger vergessen hatte, genoss seine wiedergewonnene Popularität am Wahltag sichtlich. Während Christian Wulff und "Luc" Jochimsen mehr als neun Stunden lang im Kreise der Parteifreunde ausharrten, nahm Joachim Gauck auf der Besucher-Empore oberhalb der Plenarfläche Platz - neben seiner Lebensgefährtin und einigen Familienmitgliedern. Wann immer sich Gauck von seinem Platz in der ersten Tribünen-Reihe erhob, er war sofort umschwärmt. Joachim Gauck schüttelte Dutzende Hände, traf ehemalige und neue Freunde und bedankte sich für die vielfältige Unterstützung. Diese Platzwahl von Wulff und Gauck, eigentlich nur ein Detail am Rande, passte irgendwie ins Bild der vergangenen Wochen: Schließlich hatten sich viele Bürger in Umfragen nicht zuletzt deswegen auf Gaucks Seite geschlagen, weil er als Parteiloser außerhalb des vielfach kritisch beäugten Politik-Systems steht.

Und um 14.15 Uhr deutete sich an, dass nicht nur viele Bürger, sondern auch überraschend viele Wahlmänner und Wahlfrauen von Union und FDP mit Gauck sympathisierten - oder der jeweils eigenen Parteiführung einen Denkzettel verpassen wollten. Mit 499 Stimmen lag Gauck nach dem ersten Wahlgang 37 Voten oberhalb des rot-grünen Stimmenanteils. Wulff bekam dagegen nur 600 der 644 schwarz-gelben Stimmen, 23 weniger als nötig für die absolute Mehrheit. Während die Vertreter von SPD und Grünen fortan mit strahlenden Gesichtern durch den Reichstag flanierten und jedem Reporter bereitwillig Rede und Antwort standen, ließen viele Christ- und Freidemokraten ihrem Unmut über die "Heckenschützen" in den eigenen Reihen freien Lauf. Auf den Fluren und in den Bistros bildeten sich kleine Koalitions-Gruppen. Getuschel, Kopfschütteln. Und immer fielen Begriffe wie "unglaublich" oder "unverantwortlich". Ein weibliches CDU-Präsidiumsmitglied sprach in einer Pause bei Cola und bayerischem Wurstsalat aus, was viele Parteifreunde wohl dachten: "Mag sein, dass der eine oder andere von uns der Verlockung erlegen ist, seinem Frust Ausdruck zu verleihen. Aber das sollen die gefälligst auf unseren Parteitagen tun und nicht bei der Wahl des Bundespräsidenten."

Der zweite Wahlgang verlief nicht anders - die Köpfe in den Reihen von Union und FDP hingen plötzlich noch ein Stück tiefer. Jetzt begann die spannendste Phase des Tages: Ab kurz nach 17 Uhr steckten SPD, Grüne und Linke die wichtigsten Köpfe zusammen und verhandelten über eine mögliche Kooperation zugunsten Gaucks im dritten und letzten Wahlgang. Über zweieinhalb Stunden zogen sich die Konsultationen hin.

Die Spannung stieg, große Worte machten die Runde. Die aus Ostdeutschland stammende Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fühlte sich "ein bisschen an die Zeit der friedlichen Revolution erinnert". Der saarländische SPD-Politiker Heiko Maas sprach sogar von "einer historischen Chance der Linkspartei, mit ihrer SED-Vergangenheit zu brechen". Der Appell in Richtung Gregor Gysi und Co. verpuffte allerdings: Die Mehrheit der Links-Vertreter enthielt sich. Christian Wulffs Weg ins Schloss Bellevue und zur WWU war frei - er verzichtete auf die Möglichkeit einer maximal zweitägigen Bedenkzeit und nahm die Wahl "außerordentlich gerne an".

Norbert Robers