Pressemitteilung upm

Tartu liegt nicht auf Island

Auch zwischen Estland und Deutschland funktioniert ERASMUS

Münster (upm), 04. November 2010

Seit 1994 verbindet die Universitäten Münster und Tartu ein offizielles Partnerschaftsabkommen
Seit 1994 verbindet die Universitäten Münster und Tartu ein offizielles Partnerschaftsabkommen Foto: Universität Tartu

Silver hat nur gute Erinnerungen an Münster. Wenn er morgens von seinem Appartement in der "Boeselburg" aus zur Innenstadt radelte, fuhr er am liebsten am Aasee entlang. Nach zehn Minuten war er bereits im prallen Studenten-Leben, er fand "alles einfach nur klasse". Von Oktober 2009 bis Juli 2010 hat der 22-Jährige Geschichts-Student aus Estland an der WWU studiert. Jetzt ist er in seine Heimatstadt nach Tartu zurückgekehrt, einer 100.000 Einwohner zählenden Stadt, die als geistiges Zentrum der Ostsee-Republik gilt. "Hier gefällt es mir natürlich auch sehr gut."

Claudia hat den umgekehrten Weg hinter sich. Die Studentin der Kommunikationswissenschaften zog vor einigen Monaten von Mannheim nach Estland. "Was willst Du denn in Island?", hatten einige Freunde sie zuvor gefragt. Der Versprecher ist nicht untypisch - Estland haben nur wenige Studierende als Auslands-Ziel im Visier. Claudia ließ sich davon nicht beirren, sie empfand das vielmehr als eine Art Bestätigung ihrer ungewöhnlichen Wahl. "Warum hätte ich nach Frankreich oder Spanien gehen sollen? Ich wollte mal etwas ganz anderes kennenlernen."

32 junge Esten und Deutsche haben sich an diesem Abend im "Domus Dorpatensis", einem Stiftungs-Haus mit dem alten Tartuer Stadtnamen Dorpat, im Stuhlkreis zusammengesetzt, um einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Anlass ist die 14. "Deutsch-Estnische Akademische Woche" in Tartu, die "Academica XIV", zu der die Gastgeber in diesem Jahr die Universität Münster als Partner-Hochschule eingeladen haben. Seit rund 18 Jahren pflegt die WWU zum Teil intensive Kontakte nach Tartu, 1994 unterschrieben beide Universitäten ein offizielles Partnerschaftsabkommen. Zwölf münstersche Wissenschaftler mit Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles und Prorektorin Prof. Dr. Cornelia Denz an der Spitze besuchen seit dem vergangenen Montag zahlreiche Veranstaltungen und halten Gastvorlesungen. Etwa über Goethes interkulturelle Balladen, über das islamische Bankensystem und über die Frage, wie sich ein Leben Jesu heute schreiben ließe.

Die Studenten, die sich in der Straße Ülikoolo 7 versammelt haben, diskutieren dagegen über eher praktische Dinge. Sie alle sind mit einem Erasmus-Ticket, dem erfolgreichsten Austauschprogramm der Europäischen Union, in ihr aktuelles Gastgeberland gereist. Die Sprache zumindest ansatzweise lernen, "erwachsener werden", eine neue Kultur verinnerlichen: Die Motive für den ein- oder zweisemestrigen Tapetenwechsel ähneln sich.

Nur die ersten Erfahrungen sind oft sehr unterschiedlich. Während Stefan froh ist, dass er endlich weiß, "was Hühnchen auf Estnisch heißt", glaubt Sabine fest daran, dass sie eines Tages die komplizierte Sprache aus der Gruppe der finno-ugrischen Sprachen beherrschen wird. 14 Fälle, keine Artikel: Uku, der mittlerweile fließend Deutsch spricht, hat durchaus Respekt davor, dass die Deutschen sich so viel Mühe geben. Die Fortschritte, klagen manche von ihnen, müssten sie sich zudem sehr beharrlich erarbeiten. Denn die Esten neigen dazu, berichtet Katharina, sofort auf Englisch umzuschalten, wenn sie hören, dass sie einem Ausländer gegenüberstehen. Eine Geste der Freundlichkeit, die die deutschen Studierenden aber nicht wirklich weiterbringt.

Hinzu kommt, dass die Erasmus-Studenten aus aller Herren Länder oft unter sich bleiben - und eher zufällig auf einen Esten treffen. Das ist gleichwohl in Deutschland nicht anders. "Ich habe sogar ein Jahr lang einen Tanzkurs in Deutschland besucht", erzählt die Estin Lea, "und erst am Schluss kam ich mit ihnen ins Gespräch." Simone berichtet von ähnlichen Erfahrungen in Tartu. "Ich wohne seit Monaten schon mit einer Estin in einem Zimmer. Jetzt spricht sie endlich mit mir, jetzt wird sie mir sympathisch."

Martin weiß glücklicherweise Rat. Er empfiehlt das sogenannte Tandem-Programm, bei dem man als ausländischer Student einen Esten "zugeteilt" bekommt. "Wir gehen zusammen einkaufen, wir gehen abends aus, und wir schauen zu zweit oder in einer größeren Gruppe estnische Filme - das hilft und macht Spaß."

Norbert Robers

Informationen der WWU zum Studienaustausch Infos der Uni Tartu für Gaststudenten