Pressemitteilung upm

Erste Schwerionen-Kollisionen am Beschleuniger LHC in Genf

ALICE-Experiment beobachtet spektakuläre Kernreaktionen / Münstersche Forscher beteiligt

Münster (upm), 08. November 2010

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Johannes Wessels (Foto) hat Detektormodule für das Experiment ALICE gebaut.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Johannes Wessels (Foto) hat Detektormodule für das Experiment ALICE gebaut. Foto: WWU - Grewer
Darstellung einer Kollision von Bleikernen bei der höchsten je in einem Beschleuniger erreichten Energie im Experiment ALICE.
Darstellung einer Kollision von Bleikernen bei der höchsten je in einem Beschleuniger erreichten Energie im Experiment ALICE. Foto: LHC

Nach fast einem Jahr Strahlbetrieb mit Protonen hat der Kollisionsbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) am Europäischen Forschungszentrum für Teilchenphysik in Genf heute, 8. November, im Rahmen des Experiments ALICE zum ersten Male komplette Atomkerne auf höchste Energien beschleunigt. Dabei handelt es sich um die schweren Ionen des chemischen Elements Blei, die aus 82 Protonen und 126 Neutronen bestehen. Die bei einem zentralen Stoß umgesetzte Energie ist neuer Weltrekord, 15-mal höher als die bisherige Bestmarke am Relativistischen Schwerionenbeschleuniger RHIC in Brookhaven, USA. ALICE ist eines der vier großen internationalen Experimente, die am LHC aufgebaut sind. ALICE steht als Kürzel für "A Large Ion Collider Experiment". Beteiligt ist auch die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Johannes P. Wessels vom Institut für Kernphysik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

"ALICE ist speziell für Kollisionen von schweren Atomkernen ausgelegt. Mit der Kollision von Bleiatomkernen wollen wir für winzige Augenblicke den extrem heißen und dichten Plasmazustand der Materie aus Quarks und Gluonen wieder herstellen, wie er in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall existiert hat", erklärt Prof. Dr. Peter Braun-Munzinger, Direktor des ExtreMe Matter Instituts EMMI am GSI Helmholtzzentrum. "Die Messungen werden uns einen neuen und einzigartigen Zugang zu bislang unerforschten Gebieten in der Physik liefern." Professor Wessels ergänzt: "Wir sind glücklich, dass wir nach mehr als zehn Jahren der Planung nun die Daten erhalten, auf die wir gewartet haben. Bislang konnten wir die Kollision von Protonen, die auf höchste Energien beschleunigt waren, beobachten. Nun können wir erstmals auch verfolgen, was bei der Kollision von Bleikernen geschieht."

ALICE besteht aus einer Reihe von Einzelkomponenten. Der Detektor ist 25 Meter lang, 16 Meter breit und 16 Meter hoch. Er funktioniert gleichsam als dreidimensionale Kamera und liefert Momentaufnahmen der Schwerionen-Kollisionen mit ihren mehreren Tausend auslaufenden Sekundärteilchen. Die Bildauflösung beträgt 600 Millionen Pixel und entspricht 750 Megabyte an digitaler Information. Bei einer Auslesegeschwindigkeit von 17,5 Terabyte pro Sekunde können viele tausend Ereignisse pro Sekunde der Analyse zugeführt werden.

GSI hat von Anfang an eine führende Rolle beim Bau und beim wissenschaftlichen Programm von ALICE gespielt, zusammen mit den Universitäten Darmstadt, Frankfurt, Heidelberg und Münster und den Fachhochschulen Köln und Worms. Inzwischen gehören mehr als 1000 Wissenschaftler aus 30 Ländern zur ALICE-Kollaboration. Unter den mehr als 100 Wissenschaftlern aus Deutschland sind 41 Doktoranden. Deutsche Forscher sind bei drei zentralen ALICE-Projekten engagiert. Dabei handelt es sich um die Zeitprojektionskammer, die auf fünf Metern Länge die Kollisionszone bis zu einem Radialabstand von zweieinhalb Metern umschließt, und um den nach außen folgenden Übergangstrahlungsdetektor. Das dritte Projekt ist der High Level Trigger, ein Hochleistungsrechner, der innerhalb von wenigen Tausendstelsekunden den Informationsgehalt der Ereignisse analysiert.

Die Arbeitsgruppe von Johannes Wessels ist maßgeblich am Aufbau und Betrieb des Übergangsstrahlungsdetektors beteiligt, der den Nachweis von Elektronen und Positronen ermöglicht. Das Experiment ALICE startete im Jahr 2007.

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