Pressemitteilung upm

Traditionen, Koalitionen, Visionen

Musiksoziologe hält Antrittsvorlesung an der Universität Münster

Münster (upm), 13. April 2011

Prof. Dr. Michael Custodis
Prof. Dr. Michael Custodis Foto: WWU

"Es ist ein großes Vergnügen, dass ich mich intensiv mit Musik beschäftigen kann", sagt Prof. Dr. Michael Custodis. Dabei hat es ihm nicht eine bestimmte Richtung angetan: "Meine Vorlieben sind sehr situationsabhängig. Es gibt nicht den einen Musikgeschmack." Michael Custodis muss es wissen, denn er ist seit dem vergangenen Semester Professor für Musikwissenschaft an der Universität Münster. Am Montag, 18. April, hält er im Hörsaal S1 des Schlosses um 12.15 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Progressing Music: Auf der Suche nach dem Neuen im 20. Jahrhundert".

"In den vergangenen 20 Jahren ist enorm viel in Bewegung geraten. Die Avantgarde-Musik beispielsweise ist kein Elfenbeinturm mehr. Die Künstler sind wieder neugieriger", resümiert der 37-Jährige. "Ein Rückzug in die eigene stilistische Nische ist kaum mehr möglich, auch weil das Publikum selbstbewusster geworden ist." Während es früher zum bildungsbürgerlichen Kodex gehört habe, dass man ganz selbstverständlich zumindest drei Sätze über die aktuellen musikalischen Tendenzen mitreden konnte, sei es heutzutage nicht mehr blamabel, wenn man zugebe, dass man keinen Bezug zur zeitgenössischen Musik habe.

"Viele musikalische Entwicklungen sind sehr abstrakt geworden und nicht mehr leicht zugänglich. Bei der Literatur und Malerei sind große Teile des Publikums mitgegangen, während sich die Musikhörer in viele Einzelgruppen differenziert haben", sagt Michael Custodis. Auch für öffentlichkeitswirksame Ehrungen wie den Literaturnobelpreis oder die Oscars, bei denen Kunstanspruch und große Unterhaltung Hand in Hand gehen, finde sich in der Musik kein vergleichbares Beispiel.

Deshalb will er die alten Hierarchien aufbrechen, E- und U-Musik gleichberechtigt nebeneinander stellen. In seinen Vorlesungen behandelt er Zappa, Miles Davis, Stockhausen, Ligeti, Björk und Sting. Nicht nur die Mischung der unterschiedlichen Musikstile reizt ihn, auch die Verbindung zwischen den einzelnen Künsten. So haben sich viele verschiedene Künstler etwa von James Joyce inspirieren lassen, die Spannweite reicht von der Neoromantik über Heavy Metal bis zur Avantgarde.

Austausch und Verbindung sucht der Wissenschaftler auch zwischen den Disziplinen. Zunächst studierte er Soziologie, bevor er zur Musikwissenschaft wechselte. Musik als prägender Faktor für gesellschaftliche Prozesse und als Ausdrucksmittel des Individuums stehen dabei im Mittelpunkt. Michael Custodis fragt beispielsweise danach, wie sich musikalischer Geschmack bildet, wie unterschiedlich Musiker miteinander interagieren, sei es nun in einem Orchester oder in einer Free-Jazz-Improvisation und welche wirtschaftliche Bedeutung Musik hat.

Die Frage, wie Musik politisch instrumentalisiert wird, beziehungsweise welche Auswirkungen sie auf Gesellschaften hat, ist ein weiterer seiner Interessensschwerpunkte. Seit kurzem fertig gestellt ist eine Arbeit über den Gründer der sogenannten Darmstädter Ferienkurse, Wolfgang Steinecke. Der hatte im Dritten Reich bei politisch engagierten Musikwissenschaftlern studiert, selbst aber zu große Kompromisse gescheut. Als er bei seinen 1946 gegründeten Ferienkursen der bis dahin von den Nazis verfemten Avantgarde-Musik immer mutiger eine internationale Plattform schuf, nutzte er dazu auch die alten Strukturen und Verbindungen. "Musikgeschichte und Politikgeschichte sind bei solchen Themen nicht zu trennen. Und selbst wenn ein Künstler ausdrücklich den Kontakt zur Politik meidet, ist das eine sehr deutliche und sehr politische Geste", sagt Michael Custodis.

Kunst entsteht nicht aus dem Nichts heraus. Es gibt immer Traditionen und Kontinuitäten, die der Musikwissenschaftler seinen Studierenden, aber auch dem breiten Publikum näher bringen will. Dabei genießt er es, sich auch mit Popularmusik zu beschäftigen. "Es wird von uns erwartet, Musik als Ganzes zu betrachten. Zum Glück haben in den vergangenen Jahren die Berührungsängste und Vorurteile nachgelassen."

Institut für Musikwissenschaft