Pressemitteilung upm

Mahnende, aber ungehörte Stimme

"Kassandra"-Projekt des Theaterlabors der Universität Münster

Münster (upm), 20. Juni 2011

Die Figur der Kassandra durchzieht wie ein roter Faden die Weltliteratur.
Die Figur der Kassandra durchzieht wie ein roter Faden die Weltliteratur. Foto: WWU

Zum ersten Mal erwähnt wird Kassandra in Homers Ilias, der Beschreibung des Krieges um Troja. Homer charakterisiert sie jedoch noch nicht als warnende Untergangsseherin. Diese traditionelle Darstellung der Kassandra als mahnende, jedoch ungehörte Stimme vor der Zerstörung Trojas scheint sich erst später zu entwickeln. Seitdem aber durchzieht die Figur der Kassandra die Weltliteratur wie ein roter Faden. Das Theaterlabor der Universität Münster zeigt in einer Montage von Kassandra-Bearbeitungen durch Aischylos, Euripides, Seneca, Shakespeare, Hauptmann, Giradoux und Christa Wolf die Entwicklung einer mystischen Figur, die über Jahrhunderte nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Die Premiere ist am 24. Juni.

Bei Pindar und anderen griechischen Autoren wird die Gabe der Prophetie der Kassandra fast als bekannt vorausgesetzt: Der Sage nach ist Apollo von ihrer Schönheit beeindruckt und verleiht ihr die Hellsehergabe. Als sie den Gott jedoch zurückweist, verdammt er sie dazu, dass ihren Vorhersagen niemand Glauben schenken wird, sodass sie dem Eintreten der Ereignisse hilflos zusehen muss. Sie sagt den Raub Helenas durch Paris und das daraus entstehende Unheil voraus, ebenso warnt sie vor dem Trojanischen Pferd und dem gewaltsamen Tode Agamemnons. Nach dem Falle Trojas wird Kassandra verschleppt und findet schließlich als Sklavin den Tod.

Kassandras Tragik besteht darin, wissen, aber nicht handeln zu können. Wie kaum eine andere Figur verkörpert sie als Sinnbild der conditio humana: als selbstbewusstes Wesen in eine Existenz des Leidens geworfen zu sein und wissend dem Tod entgegen zu gehen, die Auffassung von Fatalität, deren Wesen Unentrinnbarkeit ist.

Die literaturhistorische Bearbeitung durch das Theaterlabor legt die anthropologische Funktion von Mythen offen: In Zeiten der Unsicherheit und Bedrohung bietet die literarische Arbeit am Mythos - der Rückgriff auf die Vergangenheit - die Möglichkeit der Gegenwartserkenntnis und -bewältigung. Die Kassandra-Bearbeitungen erweisen sich so selbst als Kassandra-Rufe, die verblendeten und selbstgenügsamen Gesellschaften den Spiegel vorhalten.

Der Werkstattabend bietet einzelnen Darstellern die Möglichkeit, sich mit theaterstilistischen Formen auseinanderzusetzen, und vermittelt einen Einblick in das typologische Theaterkonzept und die praktische Arbeit des Theaterlabors. Zu sehen ist das Kassandra-Projekt am 24. und am 26. Juni, jeweils um 20.30 Uhr im Theaterlabor, Scharnhorststr. 118. Karten können unter 0251 83-25300 oder unter theaterl@uni-muenster.de vorbestellt werden.

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