Pressemitteilung upm

Der Experten-Experte

Kommunikationswissenschaftler Daniel Nölleke untersucht Expertentum in den Medien

Münster (upm), 12. April 2012

Kommunikationswissenschaftler Daniel Nölleke
Kommunikationswissenschaftler Daniel Nölleke Foto: WWU Münster

Als am 22. Juli 2011 in Oslo eine Bombe explodierte, hatten Terrorexperten in den Medien schnell eine Antwort parat: Die Tat trage die Handschrift von Al Kaida. Ein paar Stunden später stand fest, dass ein rechtsextremer Einzeltäter hinter dem Verbrechen steckte – die Fachleute hatten sich geirrt. Kein Einzelfall? So mancher meint, dass sogenannte Experten in Zeitung und TV häufiger mit ihren Prognosen daneben liegen.

"Wenn es nicht das überlegene Spezialwissen ist – was macht sie für Journalisten dann zu Experten?", fragte sich der Kommunikationswissenschaftler Daniel Nölleke von der Universität Münster. Die Antwort liefert er nun selbst in seiner Doktorarbeit: "Medien haben ein anderes Expertenverständnis als die Wissenschaft." Entscheidend sei nicht, ob jemand eine Koryphäe seines Faches oder der passende Ansprechpartner für eine konkrete Fragestellung sei. Ein aus Sicht der Medien perfekter Fachmann erfülle vor allem drei Kriterien: Er könne Dinge auf den Punkt bringen, sei stets erreichbar und habe Medienerfahrung. Dazu zähle, dass der Experte eine gewisse mediale Bekanntheit habe und ihn das Publikum als glaubwürdig wahrnehme.

Für seine Doktorarbeit analysierte Daniel Nölleke 3178 Artikel aus "Süddeutscher Zeitung" und "Bild" sowie 2496 Beiträge von ARD und RTL, die innerhalb von zwei Wochen Ende 2008 und Anfang 2009 veröffentlicht oder ausgestrahlt worden waren. In nur 20 Prozent spielen Experten eine Rolle, zeigt er. "Erstaunlich, denn unsere Gesellschaft wird immer komplexer – eigentlich sind Journalisten auf die Expertise von Spezialisten angewiesen", wundert sich der Kommunikationswissenschaftler. Als Grund vermutet er kurze Darstellungsformen, die in die Analyse eingeflossen waren. "Da ist wenig Platz, um Experten zu nennen." Denkbar sei auch, dass Journalisten zwar ihre Recherchen auf Fachleute gestützt hätten, sie dann aber nicht explizit im Artikel nannten.

Im Fernsehen treten übrigens häufiger Experten auf als in der Zeitung: In einem Drittel aller untersuchten TV-, aber in nur zehn Prozent der Printbeiträge kommen Fachleute zu Wort. "Fernsehen funktioniert durch Bilder – ein Experte im Interview gibt da viel her", erläutert der 33-Jährige.

Drei von vier Experten in den Medien sind männlich. Sie kommen meist aus Deutschland (rund 85 Prozent) und sind nicht prominent (rund 83 Prozent). 899 verschiedene Personen melden sich in den 1309 gefundenen Quellen zu Wort – "entgegen aller Erwartungen nicht die 'üblichen Verdächtigen'", kommentiert Daniel Nölleke die Experten-Bandbreite. Am häufigsten handelt es sich bei den Experten um Wirtschaftsakteure wie etwa Börsenanalysten (20 Prozent), knapp dahinter folgen Wissenschaftler. Redakteure zitieren auch ihre Kollegen gern: Zehn Prozent der Experten sind Journalisten. Handwerker tauchen in rund sechs Prozent der Beiträge als Experten auf.

Warum jemand Experte ist, lassen 70 Prozent der Beiträge offen. Nur selten erklären die Journalisten, dass die zitierte Person etwa ein Buch geschrieben hat oder durch eine bestimmte persönliche Erfahrung zum Experten wurde. Gestern Eheberatung, heute Mobbing, morgen Schulprobleme: Schwierig werde es dann, wenn jemand zu immer mehr Themen Stellung nehme, kritisiert der Kommunikationswissenschaftler. "Dann sollten Journalisten kritisch reflektieren, inwiefern ihr Interviewpartner noch glaubwürdig ist."

Gleichzeitig wirbt Daniel Nölleke bei Wissenschaftlern für mehr Offenheit: "Das journalistische Expertenverständnis ist nicht besser oder schlechter als das der Wissenschaft – es ist einfach anders." Wer Interviews aus Standesdünkel ablehne, nehme in Kauf, dass er anderen, möglichweise schlechter informierten Ansprechpartnern, das Feld überlasse. Die schmerzlichen Folgen kennt Daniel Nölleke: "Viele Wissenschaftler ballen die Faust in der Tasche, wenn andere etwas verlautbaren, was nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand entspricht."

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