Pressemitteilung upm

Phänomene der gesprochenen Alltagssprache

DFG-gefördertes Projekt "gradia" zieht Zwischenbilanz bei internationalen Tagung an der Uni Münster / Zuhörer sind herzlich willkommen

Münster (upm), 12. Juni 2012

Über Phänomene der Alltagssprache diskutieren Sprachwissenschaftler aus fünf Ländern von Mittwoch, 13. Juni, bis Freitag, 15. Juni, an der Universität Münster. Die Tagung "Grammar and Dialogism: Sequential, Syntactic and Prosodic Patterns between Emergence and Sedimentation" findet im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts "Grammatik und Dialogizität" - kurz "gradia" - statt. Interessierte Zuhörer sind herzlich bei den englischsprachigen Vorträgen willkommen. Die Tagung wird am Mittwoch um 17.45 Uhr im Festsaal der Universität, Schlossplatz 5, eröffnet.

Gesprochene Sprache wird stärker durch den konkreten Gebrauch beeinflusst als das geschriebene Wort. Doch wie kann man das flüchtige Wort analysieren? Was macht ein Gespräch aus? Wie entsteht ein Dialog? Diese und weitere Fragen versucht das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 280.000 Euro geförderte Projekt "Grammatik und Dialogizität" unter der Leitung der Germanistin Prof. Dr. Susanne Günthner zu klären.

Dass das Projekt am Germanistischen Institut der Universität Münster läuft, ist kein Zufall. Zum Lehrstuhl von Susanne Günthner gehört das "Centrum Sprache und Interaktion", in dem verschiedene Einrichtungen und Projekte gebündelt sind, die sich mit der qualitativen, empirischen Erforschung von Sprache und Sprachgebrauch in der Interaktion auseinandersetzen. Dazu gehört auch das Forschungslabor "Gesprochene Sprache", auf dessen Audio-Datenbank die Mitarbeiter des Projekts zurück greifen können. "Wir haben hier rund 125 Stunden transkribierte Audioaufnahmen", erzählt Jörg Bücker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts. Aufgenommen werden unter anderem Daten von Studierenden in Alltagssituationen, zum Beispiel beim gemeinsamen Essen in der WG.

"An sich sind die Sprachaufnahmen wertlos - um sie für eine wissenschaftliche Analyse zugänglich zu machen, müssen sie erst einmal transkribiert werden", erläutert sein Kollege Benjamin Stoltenburg. Jedes "Äh", jede Pause, jede Tonhöhe werde dabei vermerkt. Selbst ein geübter Transkribent brauche für die Transkription einer einminütigen Aufnahme mindestens fünf Minuten. Dafür haben die Wissenschaftler dann die Möglichkeit, alle Aspekte der gesprochenen Sprache zu untersuchen. "Gesprächssituationen lassen sich wie literarische Texte in verschiedene Gattungen einteilen", sagt Benjamin Stoltenburg.

Ein Beispiel für eine Gattung sind Beratungsgespräche, in denen unter anderem komplexe Fragen dazu dienen können, soziale Identitäten zuzuschreiben und auszuhandeln. "In der gesprochenen Sprache gibt es grammatische Konstruktionen, die häufig dazu dienen, einen Menschen zu stilisieren und sozial zu kategorisieren", erklärt Jörg Bücker. Das geschehe beispielsweise mithilfe der Wendung "nach dem Motto", die häufig Formen der Redewiedergabe einleitet, mittels derer Personen sozial bewertet werden.

"Solche Konstruktionen kommen in der gesprochenen Sprache häufig vor, während sie in der geschriebenen selten sind. Daher wurden sie bislang kaum erforscht", sagt Benjamin Stoltenburg. Jörg Bücker hat noch ein weiteres Beispiel parat, wie scheinbar unbedeutende Wörter den Sinn beeinflussen können: "Das war mit die dümmste Sache, die ich je erlebt habe." – "Einerseits wird mit 'dümmste' ein Superlativ verwendet, andererseits wird er durch 'mit' wieder abgeschwächt", sagt er. "Dadurch kann absehbarem Widerspruch vorgebeugt werden."

Gesprochene Sprache ist ein interaktiver Prozess, an dem zwei oder mehr Menschen teilhaben. Das kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn jemand nach einem Wort sucht und ihm sein Gegenüber hilft – während diese gemeinsame Wortsuche im Gespräch seine Spuren hinterlässt, bleiben Umformulierungen in Texten für die Leser in aller Regel verborgen. Oder auch in der Tatsache, dass Sprecher die grammatische Struktur ihrer Äußerungen in Alltagsgesprächen auf das jeweilige Gegenüber anpassen, denn die Wahl der Worte hängt stark von den Erwartungen an den Gesprächspartner ab.

Seit Oktober 2010 läuft das für drei Jahre finanzierte Projekt. Nun soll bei der Tagung eine vorläufige Bilanz gezogen werden. Diese Tagung zeigt auch, dass Münster ein Mittelpunkt der Forschung an der gesprochenen Sprache ist: "Münster hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem Hotspot der Gesprochenen-Sprache-Forschung entwickelt", betont Benjamin Stoltenburg.

Programm des Symposiums DFG-Projekt "Grammatik und Dialogizität"