Pressemitteilung upm

Weltweite Verfolgung von Völkerstraftätern?

Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zehn Jahre in Kraft / Strafrechtlerin Bettina Weißer zieht gemischte Bilanz

Münster (upm), 09. August 2012

Prof. Dr. Bettina Weißer
Prof. Dr. Bettina Weißer Foto: WWU - Rechtswissenschaft

Zehn Jahre nach Inkraftreten das Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zieht Prof. Dr. Bettina Weißer, Professorin für deutsches, ausländisches und internationales Straf- und Strafverfahrensrecht an der Universität Münster eine gemischte Bilanz. Die internationale Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sei zwar ein großer Fortschritt auf dem Weg zur globalen Achtung fundamentaler Menschenrechte, betont die Expertin. Andererseits leide die Umsetzung des sogenannten Weltrechtsprinzips an einer "selektiven Verwirklichung": Es dränge sich der Verdacht auf, dass Würdenträger politisch mächtiger Staaten gegen Strafverfolgung immun seien.

Das Weltrechts- beziehungsweise Universalitätsprinzip, wonach Staaten im Namen der Völkergemeinschaft und unabhängig vom Tatort gegen Verdächtige ermitteln können, habe vor allem bei der Verfolgung von Völkerstraftaten im ehemaligen Jugoslawien funktioniert. Allein in Deutschland habe es von 1993 bis 2003 rund 100 Verurteilungen gegeben. In Belgien wurden mehrere Asylbewerber aus Ruanda wegen ihrer Beteiligung am Genozid verurteilt, in Spanien gab es zahlreiche Urteile gegen militärische Befehlshaber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Herrschaft der argentinischen Militärjunta.

Dagegen hätten Strafanzeigen gegen amerikanische Militärs und den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen des Verdachts von Menschlichkeitsverbrechen im US-Gefangenenlager Abu Ghraib (Irak) nicht einmal zur Aufnahme von Ermittlungen geführt - obwohl sich die Verdächtigen teilweise in Deutschland aufhielten. In Frankreich wurde eine ähnliche Anzeige gegen Rumsfeld ebenfalls nicht weiter verfolgt, in England wurde ein Haftbefehl gegen die ehemalige israelische Außenministerin Zipi Livni wegen ihrer möglichen Verantwortung für Kriegsverbrechen während des Gaza-Kriegs Anfang 2009 wieder aufgehoben.

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele müsse man Verständnis dafür haben, dass die Union Afrikanischer Staaten bereits mehrfach einen "doppelten Standard" bei der Entscheidung über mögliche Ermittlungsverfahren kritisiert habe. "Es lässt sich nur schwer bestreiten", betont die Strafrechtlerin, "dass die heutige Verfolgungspraxis selektiv ist und tendenziell zu einer Diskriminierung politisch schwächerer Staaten führt." Es stehe zwar außer Frage, dass auf den Weltrechtsgrundsatz gestützte  Urteile zu einem Gerechtigkeitsgewinn geführt hätten - zu beklagen sei aber die Passivität der Strafverfolgungsorgane in ansonsten funktionierenden und zugleich politisch mächtigen Rechtsstaaten gegenüber mutmaßlichen Völkerstraftätern aus dem eigenen Land. Letztlich könne man insoweit nur auf eine langsame und behutsame Fortentwicklung der Erfolgsgeschichte des Völkerstrafrechts hoffen.

In Deutschland trat das Völkerstrafgesetzbuch am 30. Juni 2002 in Kraft. Demnach unterliegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dem "Weltrechtsprinzip" - die Zustänigkeit deutscher Strafverfolgungsorgane für Völkerstraftaten besteht demnach unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen diese Verbrechen begangen werden. Seit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches ist auf deutschem Boden allerdings noch keine Aburteilung von Völkerstraftaten auf das Prinzip der Weltrechtspflege gestützt worden.

Erstmals zur Anwendung kommen Vorschriften des deutschen Völkerstrafgesetzbuches in einem seit dem 1. März 2011 laufenden Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei ruandische Staatsangehörige wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Zuständigkeit der deutschen Justiz ergibt sich hier aber bereits unter dem Gesichtspunkt des Handlungsortes: Die Angeklagten werden beschuldigt, Völkerstraftaten im Grenzgebiet Ruanda-Demokratische Republik Kongo per Handy von Deutschland aus befehligt zu haben.

Prof. Dr. Bettina Weißer