Pressemitteilung upm

Gemeinsam gegen Nebenwirkungen

Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegepersonal verbessert Therapie bei Pflegeheim-Bewohnern / Studie zeigt Probleme bei Medikamenten-Behandlung

Münster (upm), 23. Oktober 2012

Julia Kruse
Julia Kruse Foto: privat

Zu viel, zu wenig oder falsch: Alte Menschen werden häufig nicht optimal mit Medikamenten behandelt, wie Studien belegen. Zum Teil stimmt die Dosis nicht, zum Teil kommt es zu Problemen, weil die Medikamente nicht vorschriftsmäßig eingenommen werden oder verschiedene Wirkstoffe miteinander interagieren. Betroffen sind vor allem ältere Menschen, wie Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Das zeigen auch die Daten von Dr. Julia Kruse. Die Apothekerin weist in ihrer Dissertation nach, dass eine engere Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegepersonal und Apothekern jedoch viele der Probleme beheben könnte. Julia Kruse hat ihre Dissertation in der Arbeitsgruppe Klinische Pharmazie unter Betreuung von Prof. Dr. Georg Hempel an der Universität Münster geschrieben. Ziel der Arbeit war, die laufende Behandlung durch bessere Kooperation zwischen den Berufsgruppen zu optimieren und so die Anzahl arzneimittelbezogener Probleme der Patienten zu reduzieren.

Das Ergebnis: Gut 53 Prozent aller möglichen arzneimittelbezogenen Probleme konnten durch eine pharmazeutische Intervention, also eine Überprüfung und – falls nötig – eine Umstellung der Medikamentengabe behoben werden. Dazu zählen auch solche Fälle, in denen die Patienten keine Symptome zeigten, man aber mit einem Auftreten von Nebenwirkungen rechnen musste. Durch die verbesserte Medikamentengabe wurden auch Kosten gespart, und zwar im Mittel etwa 30 Cent pro Bewohner pro Tag.

Für ihre Studie, die erstmals in dieser Form in Deutschland durchgeführt wurde, hat die 30-jährige Apothekerin Alten- und Pflegeheimbewohner aus sieben Einrichtungen in Münster untersucht, 82 Prozent davon Frauen. Die Zusammensetzung dieser Gruppe stimmt mit den aus Deutschland bekannten Durchschnittswerten für Altenheime überein. "Der typische Heimbewohner litt unter sieben Erkrankungen, wovon Demenz und Bluthochdruck die häufigsten Diagnosen ausmachten. Im Durchschnitt erhielt jeder Patient etwas mehr als acht Arzneimittel", berichtet Julia Kruse. Sie hat ihre Untersuchung als sogenannte Interventionsstudie durchgeführt. Das bedeutet: Nachdem sie zunächst erfasst hatte, welche Medikamente ein Heimbewohner einnahm und welche Erkrankungen dokumentiert waren, überprüfte sie die Medikamenteneinnahme jedes Patienten, zum Beispiel im Hinblick auf fehlerhafte Dosierungen, Verordnungen ohne Diagnosen oder Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln. Nach Besprechung mit dem Pflegepersonal informierte sie den behandelnden Arzt über die Verbesserungsvorschläge. Nach acht Wochen erfolgte eine Überprüfung.

"Bei 209 untersuchten Bewohnern habe ich insgesamt 1323 arzneimittelbezogene Probleme festgestellt", berichtet Julia Kruse. Durchschnittlich waren das etwa sechs mögliche oder tatsächlich auftretende Komplikationen pro Person. Ein Beispiel ist der Einsatz des Wirkstoffes Metoclopramid (MCP), der häufig bei Übelkeit und Erbrechen verschrieben wird. Rund 26 Prozent aller Bewohner erhielten ihn bei Bedarf, 12 Prozent sogar als Dauerarzneimittel. Da MCP mit Psychopharmaka interagieren kann, kann es bei den Patienten, die beides einnehmen, zu Symptomen ähnlich der Parkinson-Erkrankung kommen, nämlich zu Störungen im Bewegungsablauf wie Muskelstarre oder Zittern. "Das Problem kann man lösen, indem MCP abgesetzt wird. Wenn ein Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen dringend nötig ist, kann man stattdessen den Arzneistoff Domperidon einsetzen. Er wirkt in Bezug auf die Übelkeit gleich, gelangt aber nicht ins Gehirn und kann somit dort nicht mit Psychopharmaka interagieren", erklärt Julia Kruse.

Ein anderes Problem: Medikamente werden in Altenheimen häufig gemörsert, da die Bewohner Schluckbeschwerden haben. "Viele Tabletten dürfen aber nicht gemörsert werden, da sie beispielsweise magensaftresistent überzogen sind. Bei einer Bewohnerin wurde ein Medikament über Monate hinweg durch das Pflegepersonal gemörsert, wodurch es nicht oder kaum gewirkt hat. Nach Rücksprache mit dem Arzt, der von dem Zerkleinern nichts wusste, wurde das Arzneimittel auf mörserbare Tabletten  mit gleichem Wirkstoff umgestellt. Durch die Besprechung dieses Falles wurde das Pflegepersonal generell für das Problem sensibilisiert", betont Julia Kruse.

Was die Kooperationsbereitschaft angeht, zieht die junge Apothekerin ein gemischtes Fazit: "Viele Ärzte fanden das Projekt sehr hilfreich und baten mich, auch weitere Patienten hinsichtlich arzneimittelbezogener Probleme zu überprüfen. Andere fühlten sich in ihrer Kompetenz angegriffen, und die Kommunikation erwies sich als sehr schwierig." Die teilnehmenden sieben Heime seien dem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen gewesen, betont sie.

Julia Kruse befürwortet eine generelle Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegekräften zum Wohl der Pflegeheim-Bewohner. Allerdings sei eine flächendeckende Umsetzung des Konzeptes nicht ohne Weiteres umsetzbar. "Eine pharmazeutische Betreuung in dem Umfang, wie sie im Projekt durchgeführt worden ist, ist durch die heimbeliefernden Apotheken als zusätzliche Leistung neben dem üblichen Apothekenalltag nicht leistbar", meint sie. "Aus meiner Sicht müsste man daher klären, wie man eine verbesserte Versorgung finanzieren kann."

In Australien beispielsweise habe man das Problem dadurch gelöst, dass Apotheker von Ärzten beauftragt und von den Krankenkassen dafür bezahlt werden, die Arzneitherapie zu überprüfen. Das Geld dafür werde von den Krankenkassen durch die Streichung der Medikamente erwirtschaftet, die sich bei der Überprüfung als überflüssig herausstellen. Außerdem erhoffe man sich durch die verbesserte Arzneitherapie weniger Krankenhauseinweisungen, so Julia Kruse.

 

 

Literatur:

Julia Kruse: Optimierung der Versorgung geriatrischer Bewohner von Alten- und Pflegeheimen durch intensive Pharmazeutische Betreuung, 235 Seiten, Dissertation Westfälische Wilhelms-Universität Münster (2012), Verlag Dr. Hut, ISBN 978-3-8439-0584-8, Reihe Klinische Pharmazie