Pressemitteilung upm

"Der Preis setzt eine Lawine in Gang"

Zwei Wissenschaftler im Gespräch: Was die Auszeichnung für Prof. Barbara Stollberg-Rilinger und Prof. Frank Glorius bedeutet

Münster (upm), 04. Februar 2013

Leibniz-Preisträger unter sich: Prof. Barbara Stollberg-Rilinger und Prof. Frank Glorius im Gespräch.
Leibniz-Preisträger unter sich: Prof. Barbara Stollberg-Rilinger und Prof. Frank Glorius im Gespräch. Foto: WWU - Peter Grewer

Am 19. März verleiht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preise 2013. Die DFG wird elf neue Preisträger ehren – darunter zwei Wissenschaftler der Universität Münster. Doch was bedeutet es eigentlich, einen Leibniz-Preis zu erhalten? Welche Freiheiten, welche Verpflichtungen bringt die mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotierte Auszeichnung mit sich? Norbert Robers und Christina Heimken sprachen für die Uni-Zeitung wissen|leben darüber mit einem der jüngst Ausgezeichneten und mit einer langjährigen Preisträgerin: mit dem Chemiker Prof. Dr. Frank Glorius (Leibniz-Preis 2013) und der Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Leibniz-Preis 2005).

Ist der Leibniz-Preis "nur" ein Titel – oder verändert diese Auszeichnung auch die Karriere eines Wissenschaftlers?
Stollberg-Rilinger: In meinem Fall hat der Preis tatsächlich eine Lawine in Gang gesetzt. Ich wurde sehr viel öfter als vorher zu Vorträgen eingeladen und hatte dadurch viel mehr Gelegenheit, meine Arbeiten zu präsentieren. Hinzu kamen mehrere Akademie-Mitgliedschaften. Der Leibniz-Preis bringtp gerade in den Geisteswissenschaften einen Schub an Sichtbarkeit mit sich, weil hier die Peer-Review-Kultur nicht so stark ausgeprägt ist – also das in den Naturwissenschaften übliche Verfahren, bei dem Forschungsarbeiten durch Fachkollegen begutachtet werden. Daher gelten renommierte Auszeichnungen als Qualitätsmerkmal.
Glorius: In naturwissenschaftlichen Fächern werden Forschungsleistungen häufig über die Zeitschriften definiert, die die jeweiligen Arbeiten zur Veröffentlichung annehmen. Daran kann man ziemlich gut ablesen, wie erfolgreich jemand ist, unabhängig von Auszeichnungen. Ein angesehener Preis ist aber das Sahnehäubchen obendrauf.

Wofür haben Sie das Geld  in erster Linie eingesetzt beziehungsweise wofür wollen Sie es einsetzen?
Stollberg-Rilinger: Für Mitarbeiter. Neben mehreren Doktoranden habe ich einen Postdoktoranden eingestellt, der für die Leibniz-Projekte auch die Geschäftsführung übernommen hat. Außerdem habe ich drei Freisemester genommen und meine Vertretung von dem Geld bezahlt. In dieser Zeit habe ich eine Monografie geschrieben – ein Buch, das ich schon immer hatte schreiben wollen. Kleinere Posten waren Archivreisen sowie Publikationskosten für Doktorarbeiten.
Glorius: Ich habe noch keinen konkreten Finanzplan, aber ich gehe davon aus, dass auch ich den größten Teil des Geldes in Personal  investieren werde. Meine Arbeitsgruppe hat 25 Mitarbeiter, überwiegend Doktoranden und Postdoktoranden. Einige bringen ihr eigenes Geld in Form von Stipendien mit, aber viele sind auf eine Finanzierung aus meinem Etat angewiesen. Dazu werden sicherlich Ausgaben für Chemikalien oder Forschungsreisen kommen, aber 80 Prozent der Mittel, die wir ausgeben, sind typischerweise Personalmittel. Allein deswegen ist der Leibniz-Preis eine große Erleichterung: Hätte ich  ihn nicht bekommen, hätte ich viele Forschungsanträge schreiben müssen, um die Mittel reinzuholen.

Die DFG verspricht allen Preisträgern für die Verwendung des Geldes eine "märchenhafte Freiheit". Hält also niemand nach, was mit dem Geld passiert?
Glorius: Oh doch. Es gibt Richtlinien, die man einhalten muss. So darf man das Geld etwa nur für Forschungszwecke verwenden. Man muss am Schluss auch einen Rechenschaftsbericht gegenüber der DFG abliefern.
Stollberg-Rilinger: Die Verwaltung der jeweiligen Universität kontrolliert die Ausgaben – so ist garantiert, dass nichts für wissenschaftsfremde Zwecke ausgegeben wird. Aber das Ausmaß der Kontrolle durch die DFG ist nicht vergleichbar mit anderen aus Drittmitteln finanzierten Projekten, bei denen man regelmäßig Bericht erstatten muss.
Glorius: Der Leibniz-Preis gibt mir vor allem eines: Freiheit. Bei normalen Förderverfahren muss man dem folgen, was man im Förderantrag geschrieben hat. Die organische Chemie ist allerdings eine experimentelle und damit oft unkalkulierbare Wissenschaft. Das bedeutet: Wir stehen im Labor, wir fragen, und die Natur gibt Antworten. Und dann geht die Forschung in die eine oder in die andere Richtung. Mit dem  Leibniz-Preis habe ich jederzeit die Möglichkeit, meine ursprünglichen Pläne über den Haufen zu werfen. Das ist ein großer Vorteil.

Ist der Preis aber nicht auch eine Bürde, weil man hohen Erwartungen gerecht werden muss?
Stollberg-Rilinger: Für mich war er keine Last. Aber natürlich hatte ich das Gefühl, dass mit der Auszeichnung eine  Verpflichtung einhergeht. Es war mir daher wichtig, die Mitarbeiterstellen so zu besetzen, dass eine gute Arbeit dabei herauskommt.
Glorius: Ich würde es auch als Verpflichtung im positiven Sinne sehen. Bei mir hat die DFG in der Laudatio geschrieben, dass der Höhepunkt meiner Karriere noch nicht erreicht sei. Es wäre traurig, wenn es anders wäre – es liegen schließlich noch einige Jahrzehnte Forschung vor mir.

Beim Fußball stellt man hohe Anforderungen an Spieler, die teuer eingekauft wurden. Geht es in der Wissenschaft ähnlich zu?
Glorius: Es gibt zwar keinen Kampf um Mitarbeiter, die man durch „Ablösesummen“ kaufen muss. Es gibt aber sehr hart umkämpfte Forschungsgebiete. Wir arbeiten beispielsweise auf dem Gebiet der Aktivierung von Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen. Dieser Zweig der Chemie ist sehr modern und kann die organische Chemie in Zukunft sehr stark verändern – entsprechend groß ist der Druck, sich dort zu positionieren.
Stollberg-Rilinger: Das ist bei uns anders. In den Geisteswissenschaften geht es ja beispielsweise um unterschiedliche Interpretationen von Texten. Das ist kein Wettbewerb, bei dem der gewinnt, der als erster eine Lösung für ein bestimmtes Problem hat.

Die Universität Münster hat mittlerweile zehn Leibniz-Preisträger in ihren Reihen. Inwiefern kann eine Hochschule beeinflussen, ob ihre Forscher erfolgreich sind und viele Preise bekommen?
Glorius: Dafür gibt es eine Reihe von Kriterien, und viele davon erfüllt die WWU. Ein wichtiger Punkt ist, dass sich Wissenschaftler an ihrer Universität wohlfühlen und Mitsprachemöglichkeiten haben sollten. Ich empfinde es beispielsweise als angenehm, dass  die Wege zwischen der Universitätsleitung und den Wissenschaftlern sehr kurz sind.
Stollberg-Rilinger: Auch das Klima in dem betreffenden Institut muss gut sein, das ist von außen kaum zu beeinflussen. Und nicht zu vergessen: Das Rektorat muss der DFG Erfolg versprechende Vorschläge machen, wer den Leibniz-Preis erhalten soll.

Welche Rolle spielt die Ausstattung der Institute?
Stollberg-Rilinger: In meinem Fall hat der Sonderforschungsbereich 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme" eine zentrale Rolle gespielt. Als ich 1997 nach Münster kam, gingen die Planungen für den SFB gerade los. Ich war gleich getragen von einem gemeinsamen Forschungskontext. Als der SFB später eingerichtet wurde, war damit auch eine gute Ausstattung verbunden.
Glorius: Bei mir war es ähnlich mit dem SFB 858 "Synergetische Effekte in der Chemie".  Ohnehin ist die intensive  Zusammenarbeit auf Ebene der Institute und Fachbereiche in Münster ein großes Plus. Und leistungsstarke Forschungsverbünde sind für Wissenschaftler generell von besonderer Bedeutung.

Natürlich sind es in erster Linie die Wissenschaftler, die mit einem Leibniz-Preis geehrt werden. Profitiert auch die Universität von dieser Auszeichnung?
Stollberg-Rilinger: In Zeiten von Hochschul-Rankings sind eindeutige, quantifizierbare Kriterien wie die Anzahl von Leibniz-Preisen sehr außenwirksam. Wenn jemand ein Buch schreibt, schlägt sich das in einem Ranking nicht nieder – es kann so gut sein, wie es will.
Glorius: Ich stimme Ihnen zu, hochkarätige Auszeichnungen steigern das Renommee einer Hochschule. Wobei Wissenschaftler vor allem die Forschungsleistung interessiert, die einem Preis zugrunde liegt. Es gibt eine einfache Formel: Herausragende Wissenschaftler schaffen ein attraktives Forschungsklima und ziehen auf diese Weise andere hervorragende Wissenschaftler an. Von Forschungspreisen und Forschungsleistungen profitieren somit alle: die Wissenschaftler und die Hochschulen.

Welche Vorteile haben Studierende durch Leibniz-Preisträger?
Stollberg-Rilinger: Der Leibniz-Preis soll die Arbeitsbedingungen und Forschungsmöglichkeiten eines Wissenschaftlers verbessern. Damit kann auch verbunden sein, dass ein Hochschullehrer sich, wie ich es gemacht habe, zum Teil von der Lehre freistellen lässt. Und damit ist der Betreffende weniger greifbar für die Studierenden. Damit sich das nicht nachteilig auswirkt, muss für eine angemessene Vertretung in der Lehre gesorgt werden, und die Freistellung sollte ein gewisses Maß nicht überschreiten. Ich verfechte auch nach wie vor das Ideal von Forschung und Lehre als Einheit. Es ist für Studierende auf jeden Fall spannender, wenn sie an einer Universität studieren, an der auf hohem Niveau geforscht wird und die Hochschullehrer ihnen aktuelle Forschungsansätze vermitteln. Ich behandele im Hauptseminar immer auch Themen, an denen ich selbst forsche.
Glorius: Die Chemieausbildung ist ohnehin sehr forschungsnah, Laborarbeit gehört ab dem ersten Semester zum Studium. Die meisten Chemie-Studierenden schließen zudem ihr Studium mit einer Promotion ab und sind während der Doktorarbeit selbst in der Forschung tätig. Den Studierenden ist demzufolge klar, dass die Forschung eine große Relevanz für sie selbst hat. Die moderne Chemieausbildung muss daher mit der Forschung verknüpft sein. Ich glaube, dass sich die Studierenden freuen, wenn sie sehen, dass ihre Hochschullehrer gute Forschung machen. Bei uns in der Chemie gibt es viele tolle Wissenschaftler, deshalb ist auch das Niveau der Lehre sehr gut. Die Studierenden profitieren davon eins zu eins.


Dieses Interview erschien in der Januar-Ausgabe der Universitätszeitung wissen|leben.
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