Pressemitteilung upm

Meine Bücher sollen weiter sprechen

Ausstellung zu Schoah-Überlebenden in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster

Münster (upm), 01. März 2013

Winfried Nachtwei (r) würdigte Prof. Dr. Schneider (l) bei der Ausstellungseröffnung als „herausragende Figur“ für die Erinnerung an das Rigaer Ghetto.
Winfried Nachtwei (r) würdigte Prof. Dr. Schneider (l) bei der Ausstellungseröffnung als „herausragende Figur“ für die Erinnerung an das Rigaer Ghetto. Foto: ULB Münster / Stefan Querl

"Ich bin einfach sprachlos. Ich kann gar nicht sagen, wie erschüttert ich bin. Ich wünschte nur, dass meine Eltern das noch erlebt hätten." Der Vater von Prof. Gertrude Schneider starb im Konzentrationslager Buchenwald, sie, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester überlebten den Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten an den europäischen Juden. Die Erinnerung an das Leben im Getto von Riga und in den Arbeitslagern Kaiserwald und Stutthoff hat sie ihr Leben lang nicht losgelassen: Die heute 84-Jährige wurde Historikerin. Ihr ist das Standardwerk über das Leben im Rigaer Getto zu verdanken. Eine Ausstellung in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster erinnert seit Donnerstag (28. Februar) daran.

"Meine Bücher sollen weiter sprechen, wenn die letzten Zeugen schweigen", hat sich Schneider vorgenommen. Deshalb hat sie einen Teil ihrer Bibliothek der Wolfgang-Suwelack-Stiftung in Billerbeck überlassen. Die bibliografische Bearbeitung der 848 Bände hat die Erinnerungsstätte Villa ten Hompel übernommen. Hier sind sie auch einsehbar. Passend zum außergewöhnlichen Leben von Gertrude Schneider, der es mehrmals gelang, sich gemeinsam mit ihrer Schwester vor den Abtransporten in ein Vernichtungslager zu verstecken, haben die Suwelack-Stiftung und die Villa ten Hompel eine außergewöhnliche Ausstellung konzipiert.

Der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei erinnerte sich in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung am 27. Februar im Jura-Hörsaal der Universität Münster an den ersten gemeinsamen Besuch von Riga im Jahre 1989. Dort lernten sich die späteren Freunde kennen. Damals erschienen ihm die Stätten der NS-Verbrechen noch als "vergessene Orte", so Nachtwei. Statt einer aktiven Aufarbeitung des Unrechts sei vor allem ein ausgeprägter Antisemitismus der Menschen vor Ort spürbar gewesen. Das sollte sich in den Folgejahren ändern: Dank zahlreicher Besuche, Kontakte und einer kritisch-historischen Aufarbeitung ist bis heute eine lebendige Erinnerungskultur über die Naziverbrechen in Lettland entstanden - gerade auch in Münster und Westfalen. Gertrude Schneider habe viel dazu beigetragen, so Nachtwei. Sie sei eine "herausragende Figur für das, was uns aufrütteln muss und uns für Menschenrechte eintreten lässt".

Schneider selbst ging in ihrem Festvortrag auch auf ganz unerwartete Kritik an ihrem Werk ein. Vor allem Juden in Deutschland hätten ihr übel genommen, dass sie das Leben im Getto in allen Facetten dargestellt hat: Dort wurde selbstverständlich auch gefeiert, geliebt und gesungen. "Die aber wollten nur Tränen!", so Schneider. Für die Historikerin war dies ein Ding der Unmöglichkeit: "Ich hatte meine Pflicht zu erfüllen als Zeitzeugin", postuliert die sonst stets freundlich zugewandte Professorin mit ungewohnter Strenge.

In vier Bücherregalen haben die Ausstellungsmacher Philipp Schwerdtfeger und Johannes Vogt Buchattrappen und reale Bücher von Schneider miteinander gemischt. Zieht man eines der Bücher heraus, startet ein Videofilm, in dem die Historikerin erklärt, warum ihr gerade dieses Buch so sehr am Herzen liegt. So kann der Besucher ein Leben "begreifen" – ob nun durch das Drehbuch zum Film "Shoah", in dem Schneider mit ihrer Mutter zu sehen ist, oder "The Destruction of the European Jews". Ihre Kreativität haben Schwerdtfeger und Vogt bereits bei der Ausstellung "Goldene Pracht" des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster unter Beweis gestellt. Auch das Mahnmal zur Erinnerung an den 80. Jahrestag der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, zu dem ULB und AStA eine Ausstellung vorbereiten, liegt in ihren Händen.

Bis zum 16. März ist die Ausstellung "Ex LIBIS Prof. Gertrude Schneider" in der Galerie der ULB zu sehen. Doch sie ist bewusst als Wanderausstellung konzipiert. Denn Anlass für die Schenkung der Bücher nach Billerbeck waren 2005 Recherchen von dortigen Schülern, die wissen wollten, was mit ihren münsterländischen Altersgenossen nach ihrem Abtransport nach Riga geschehen war. "Ich hatte schon resigniert, dachte, dass ich schon alles getan hätte, aber dieser Brief ist mir ans Herz gegangen. Was ist mit diesen Geschöpfchen passiert, die damals so wie ich nach Riga antransportiert worden waren?", fragte sich Schneider. Sie hofft, dass auch künftige Generationen die  Fragen nach dem Warum und Wie der Schoah, nach Leben und Tod der Opfer stellen werden. Die Ausstellung zu ihrem Leben gibt dazu reichlich Anlass.

Öffnungszeiten: 28. Februar bis 16. März
mittwochs von 9 bis 13 Uhr,  donnerstags und freitags von 14 bis 18 Uhr und samstags von 12 bis 16 Uhr.

Anschließend kann die Ausstellung bei der Villa ten Hompel ausgeliehen werden.

Der Eintritt ist frei.

ULB Villa ten Hompel