Pressemitteilung upm

Der gelassene Deutsche

Studie: Bevölkerung reagiert stoisch auf politische Skandale

Münster (upm), 10. April 2013

Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe politischer Skandale erlebt. Ärgernis hin, Affäre her: Die Deutschen nehmen all dies offenbar sehr gelassen hin - das Vertrauen in die Demokratie und in die "Selbstreinigungskräfte" scheint gefestigt zu sein. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).

Das Team um Prof. Volker Gehrau untersucht, ob und wie sich die Berichterstattung der Medien auf die Problemwahrnehmung der Bevölkerung auswirkt. Der Forschungsgruppe liegt eine beispiellose Datenmenge vor, die nicht nur Aufschluss über die Politikverdrossenheit der Deutschen, sondern auch über Themen wie Terrorismus, Arbeitslosigkeit oder Umwelt geben kann. Basis der Studie ist eine FORSA-Datensammlung aus den Jahren 1994 bis 2006. Das Meinungsforschungsinstitut hatte in diesem Zeitraum werktäglich 500 Deutsche gefragt, was ihrer Meinung nach in Deutschland die aktuell drei größten Probleme seien. Im Ergebnis werten die Wissenschaftler damit rund 1,6 Millionen Stimmen aus. Das Forschungsprojekt mit dem Titel "Issues of the Millennium" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Kleinere Skandälchen, handfeste Skandale: Je größer die Partei und je prominenter der Politiker, desto heftiger ist erfahrungsgemäß der Aufschrei der Öffentlichkeit. Was oft folgt, ist eine detaillierte, manchmal sezierende Auseinandersetzung der Medien mit dem Vergehen, den beteiligten Personen und ihrem Umfeld. Nicht selten werden Stimmen laut, wonach eine derartige Berichterstattung die Bevölkerung aufwiegeln, ihre Meinung über die Politik ins Negative verzerren und letztlich eine Gefahr für das politische System insgesamt darstellen wird.

Die Kommunikationswissenschaftler der WWU widerlegen diese These - danach besteht für die Demokratie keine Gefahr. Die Deutschen nehmen politische Skandale zwar wahr und werden in der Folge sensibler dafür, jedoch verfliegen Verärgerung und Misstrauen sehr schnell wieder. Nach jeweils kurzzeitigen Verärgerungs-Spitzen - je nach Größe des Skandals - kehrt in der Bevölkerung schnell wieder Ruhe ein. "Daraus kann man schließen, dass die Massenmedien mit ihrer Berichterstattung über politische Skandale eine wichtige Funktion im politischen System erfüllen", erläutert Projektmitarbeiterin Judith Väth. Sie stimulierten dabei jedoch kein langfristiges Misstrauen gegenüber der Politik.

Der CDU-Spendenskandal (1999/2000) löste die heftigste Reaktion in der Bevölkerung aus - auf dem Höhepunkt der Debatte erreichte der Wert derjenigen, die mit der Politik unzufrieden waren, 50 Prozent. "Der Wert lag in ruhigen, skandalfreien Zeiten relativ konstant bei zehn Prozent. Auf dieses niedrige Niveau fällt er selbst nach dem CDU-Spendenskandal nach einigen Monaten wieder zurück", berichtet Projektmitarbeiterin Gianna Haake. Eine mögliche Erklärung: Die Bevölkerung ist mehrheitlich der Überzeugung, dass sich die demokratischen Institutionen des Falls annehmen und ihn lösen.

Für die Demokratie in Deutschland ist die Politikverdrossenheit demnach kein großes Problem. "In der Zeit zwischen den wichtigen Wahlen liegt der Anteil an politikverdrossenen Bürgern oft deutlich höher liegt als unmittelbar vor und am Wahltermin", erklärt Judith Väth. Die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen sei im Untersuchungszeitraum stabil auf hohem Niveau geblieben, ermittelte die Forschergruppe. "Auch wenn sie zwischenzeitlich verärgert oder frustriert sind, die Deutschen gehen bei Wahlen ihrer gefühlten Verpflichtung nach."
Es scheint, als brächte die Deutschen so schnell nichts aus der Ruhe. Es gibt allerdings Ausnahmen: Ernst wird es für die Menschen erst, so zeigen die Befragungsdaten, wenn sie selbst oder ihr direktes Umfeld betroffen ist - zum Beispiel Familie, Arbeit oder Lebensmittel.

 

Homepage des Projekts "Issues of the Millennium"