Pressemitteilung upm

Unterwegs in Münsters Schatzkammer der Vergangenheit

Nach dem Gronausaurus-Fund: Wie sich Pjer Biederstädt auf die Suche nach der nächsten Sensation begibt

Münster (upm), 28. Juni 2013

Nicht nur einzelne Knochen, sondern auch ganze Skelette lagern in der Übergangsheimat des Geomuseums. Die Meerkatze (vorne) und der Strauß gehören zur Vergleichssammlung der Wirbeltier-Skelette.
Nicht nur einzelne Knochen, sondern auch ganze Skelette lagern in der Übergangsheimat des Geomuseums. Die Meerkatze (vorne) und der Strauß gehören zur Vergleichssammlung der Wirbeltier-Skelette. Foto: WWU - Peter Leßmann

Das menschliche Auge braucht eine Weile, bis es sich vom gleißenden Sonnenlicht auf das Dunkel in der Tiefgarage eingestellt hat. Doch sobald sich die Pupillen an die Finsternis gewöhnt haben, eröffnet sich dem Betrachter eine mitreißend surreale Kulisse. Wenige Funzeln werfen mageres Licht auf das zweckentfremdete Parkdeck, auf dem statt Autos Millionen Jahre alte Fossilien geparkt werden. Dort, wo einst Parktickets gelöst wurden, lagern Mammutknochen auf Paletten, neben dem Schild "Motor abschalten" liegt die - ironischerweise in Frischhaltefolie verpackte - Wirbelsäule eines Wollnashorns. Also eines Coleodonta antiquitatis, wie Dr. Markus Bertling, Leiter des Geomuseums der Universität Münster, ergänzt.

Es sind erst wenige Tage vergangen, seit  Dr. Oliver Hampe genau hier einen wissenschaftlichen Coup hat. Der Experte vom Berliner Naturkundemuseum entdeckte während einer Routine-Dienstreise nach Münster ein fossiles Meeresreptil aus der Kreidezeit - der nach dem Fundort und Entdecker benannte Gronausaurus wegneri, das einzige Exemplar seiner Art weltweit. Was der Paläontologe Theodor Wegner, der früher Privatdozent an der Universität Münster war, vor 101 Jahren archivierte, fand Oliver Hampe in den Schubladen der Ausstellung des münsterschen Geomuseums und identifizierte es als neue Art eines Plesiosauriers. Ein sensationeller Fund in Münsters Schatzkammer der Vergangenheit, die nur wenige Auserwählte besichtigen dürfen.

Seit zwei Jahren muss Markus Bertling den Umweg in die Tiefgarage machen, denn die komplette, über 50.000 Exponate umfassende Sammlung zog im Frühling 2011 für die Bauzeit des neuen Geomuseums von der Pferdegasse übergangsweise in den Untergrund. Der Ort muss streng geheim bleiben, "schließlich befinden sich hier zahlreiche Exponate von wissenschaftlich unschätzbarem Wert", erklärt Markus Bertling. Zu Beginn bereitete ihm der Gedanke, diese unersetzlichen Stücke in einer unbewachten Tiefgarage zu lagern, schlaflose Nächte, doch mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. "Wir hoffen, dass wir 2015 aus der Tiefgarage zurück in die Landsberg’sche Kurie in der Pferdegasse ziehen", betont er.

Doch zunächst müssen der Experte für Spurenfossilien und seine studentische Hilfskraft, Verena Nitz, der Kälte und Dunkelheit bei der Arbeit trotzen. Sie erkennen aber nicht nur Nachteile an dem ungewöhnlichen Standort. "Ich muss mir immer einen Pulli anziehen, wenn ich mich hier unten um die Inventarisierung kümmere. Ordnung zu halten ist hier dafür einfacher, weil wir alles auf einer Etage haben und so besser sortieren können. Außerdem kann ich Musik mit überragendem Sound hören", sagt die Geologie-Studentin fröhlich, bevor sie vorschlägt, unsere Suche in der dunkelsten Ecke der Parkfläche zu beginnen.

In ungefähr 80 Regentonnen finden sich abertausende Kalkbrocken aus einer Kiesgrube bei Burgsteinfurt. Gesammelt hat sie Wilhelm Schäfer, ein Malermeister, der Paläontologie zu seinem Hobby machte und seinen Nachlass der Universität Münster schenkte. "Diese Funde sind enorm wichtig, weil es die Kiesgruben nicht mehr gibt. Das Gestein, überwiegend Meeresböden aus dem Erdaltertum, wurde in der Eiszeit in Skandinavien von Gletschern abgeschürft und mit dem Eis hierher verfrachtet. Das Material ist voll von kleinsten Gliedertieren, und ich wette, dass darin noch mindestens fünf weltweit unbekannte Arten zu entdecken sind." So schnell, so dicht an der Sensation? "Nein, nein", relativiert Markus Bertling den Erfolg, "dies alles zu präparieren dauert ewig. Das werde ich wohl nicht mehr miterleben."

Aus einer der Regalschluchten mit den unzähligen Schubladen fördert er einen Schatz nach dem anderen ans Licht. Hier ein Holotypus, also ein Fund, der die Art begründet, von einem 69 Millionen Jahre alten Fisch, dort eine Schublade mit Höhlenschafzähnen. "Aber die sind nicht so alt, nur 20.000 Jahre", kommentiert der Museumsleiter beiläufig. Währenddessen erlischt immer wieder das zeitgeschaltete Licht in der Garage, was der Suche in der absurden Szenerie eine abenteuerliche Atmosphäre verleiht.

Fasziniert von dem 20.000 Jahre alten, im Münsterland gefundenen Schambeinknochen eines Hirschs, der Bissspuren einer Hyäne aufweist, geht die Zeitreise weiter zu Fossilien eines Schildkrötenpanzers. "Ich habe drei Abgüsse machen lassen für einen Schildkröten-Spezialisten aus Marburg", beschreibt Markus Bertling einen kleinen Teil seiner Aufgaben. Mit halber Stelle leitet er das Museum und dessen Sammlung, die andere Hälfte seiner Kraft widmet er dem Institutslehrbetrieb – eine Mammutaufgabe. Durchschnittlich einmal im Monat kommt eine Anfrage von außerhalb. Brasilianische, asiatische oder, wie im Fall von Oliver Hampe, deutsche Wissenschaftler wollen von dem Fundus der münsterschen Geologie profitieren. Markus Bertling freut sich darüber, denn er selbst kommt bei so viel Arbeit kaum noch zum Forschen. "Es bleibt wenig Zeit, sich wissenschaftliche Meriten zu verdienen", beteuert der Kustos des Instituts.

Just in diesem Moment fällt ihm eine wahre Besonderheit ein. Zwei Steinplatten, dazwischen der versteinerte Flügel einer Libelle. Gefunden wurde der 185 Millionen Jahre alte Schatz im 19. Jahrhundert in der Nähe von Bad Oeynhausen. "Ich erwarte von dem Stück eine kleine Sensation. Es könnte der missing link zwischen altertümlichen und modernen Libellen sein, ein Bindeglied zwischen Insektengruppen", vermutet er. Das Problem: Er kennt niemanden, der sich mit Insekten aus der Jura-Zeit auskennt. Wo es wenige Funde gibt, gibt es auch wenige Spezialisten. Aber der nächste Wissenschaftler, der seinen Schwerpunkt auf Insekten der Jura-Zeit legt, kann in der einzigartigen Sammlung des Geomuseums vielleicht den nächsten Sensationsfund landen.

Dieser Artikel von Pjer Biederstädt ist in der Juni-Ausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen.

Geomuseum der Uni Münster Uni-Zeitung wissen|leben