Pressemitteilung upm

"Ich bin dein Grenzgänger"

Zwischen Glaube und Wissenschaft: Traugott Roser ist neuer Universitätsprediger

Münster (upm), 23. Juli 2013

Mit Leidenschaft Pfarrer ist Traugott Roser - der neue Universitätsprediger.
Mit Leidenschaft Pfarrer ist Traugott Roser - der neue Universitätsprediger. Foto: WWU - Peter Grewer

Eine Stimme hallt im Kirchenschiff wider. Verzerrt vom Mikrofon, klingt sie blechern wie die Rund-funkaufnahmen aus den zwanziger Jahren. Worte wie Schmerz und Zweifel schweben durch den Raum. Sie kommen von Traugott Roser, der auf der Kanzel der evangelischen Universitätskirche der Universität Münster steht und seine Predigt hält. Es ist seine erste Amtshandlung als neuer Universitätsprediger, und er hat sich kein leichtes Thema ausgesucht: Es geht um Krisensituationen, die so umfassend erschüttern, dass sie in seelischen und körperlichen Schmerz münden. Der Mann im schwarzen Talar erzählt so eindringlich, dass man glaubt, er kenne diesen Schmerz selber.

"Der Beruf des Wissenschaftlers  ist fordernd. Man gelangt zur Frage nach der Berufung im Beruf."

Der Prediger auf der Kanzel ist kaum mit dem Menschen zu vereinbaren, der an einem Freitagnachmittag auf Biedermeiermöbeln Platz nimmt, die er mit champagnerfarbenen Seidenstoff – ein Souvenir seiner Reise nach Hongkong – hat beziehen lassen. Dieser Traugott Roser ist angekommen. Angekommen in Münster, wo er seit März den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und damit verbunden das Amt des Universitätspredigers angenommen hat. "Als Universitätsprediger ist es meine Aufgabe, gemeinsam mit den Theologie-Professorinnen und -Professoren dafür sorgen, dass es regelmäßige Gottesdienste an der Universität gibt. Die Gottesdienste richten sich an das gesamte Universitätspublikum: an Studenten, Mitarbeiter und ihre Familien. An der Universität soll ein geistliches Leben möglich sein." Dass gerade an diesem Ort des Forschens und distanzierten Reflektierens auch Fragen spiritueller Natur aufkommen, findet Traugott Roser selbstverständlich: "Menschen brauchen im Beruf Raum, um ihren religiösen Bedürfnissen nachzugehen. Der Beruf des Wissenschaftlers ist fordernd. Man gelangt zur Frage nach der Berufung im Beruf."

Den besonderen Spagat zwischen Glaube und Wissenschaft, zwischen Gotteshaus und Universität kennt Traugott Roser nur zu gut. "Gerade als Theologe ist man immer wieder mit Glaubenskrisen konfrontiert." Ihm ist es oft so ergangen: "Im Laufe des Studiums wird die eigene Identität erschüttert. Das war bei mir auch so. So etwas überwindet man nicht, man schleppt es mit sich. Das ist die Aufgabe, sich immer wieder nach dem eigenen Glauben zu fragen."

Als acht Fürsprecher Traugott Roser Segensworte zu seiner Amtseinführung aussprechen und ihm dabei die Hand auf das Haupt legen, spürt man, wie bewegend der Moment für alle Beteiligten ist. Man versteht, wie schwer es sein muss, den Glauben als Wissenschaftler zu betrachten. "Ich bin vor allem anderen erst einmal Pfarrer. Aber wenn ich Wissenschaft betreibe, dann streng nach den Regeln der Wissenschaft", sagt Traugott Roser.

Die Doppelrolle als Prediger und Wissenschaftler, begleitet Traugott Roser sein ganzes Leben. Nach dem Studium der Theologie in München geht er ins Vikariat. Eine Ordination folgt. Doch Traugott Roser zieht es wieder zurück an die Universität. Er promoviert und habilitiert später. Allerdings war ein Leben als Wissenschaftler für den mittelfränkischen Pfarrerssohn nicht immer vorgezeichnet. Gerade in den ersten Jahren des Theologiestudiums, so erzählt er mit nachdenklichem Ton, habe er Probleme gehabt, seine Identität als Theologe zu finden. "Das hat sich mit meinem Studienaufenthalt in Amerika geändert. Dort habe ich erfahren, dass mich das Nachdenken über theologische Zusammenhänge mit meiner gesamten Person erfasst", erinnert er sich.

Besonders beeindruckt haben ihn die Studierenden, die nach einer beruflichen Laufbahn das Theologiestudium aufnahmen: Praktiker, die ebenso ein Zuhause in der Wissenschaft suchen, wie er selbst. Das schlägt sich nieder in seiner letzten Position als Professor für Spiritual Care an der LMU München und seiner gleichzeitigen Tätigkeit als Stiftsseelsorger am Augustinum München-Neufriedenheim. Dort betreute er ein Weiterbildungsprogramm für Palliativversorgung in der Altenpflege. Medizin und Seelsorge ist sein Fachgebiet geworden. Sein Interesse hierfür sieht er darin begründet, dass er als Kind eine Zeit großer Zukunftsangst erlebt habe, als sein Vater mit Mitte vierzig einen schweren Herzinfarkt erlitt.

Viele dieser Projekte bringt er mit nach Münster: "Ich frage mich, welche Rolle Religiosität und persönliche Kompetenz bei Ärzten oder Pflegepersonal spielt. Ich bin ein Grenzgänger. Mich interessiert, wie Medizin und Seelsorge zusammenwirken. Um diese Fragen zu beantworten, braucht es die Zusammenarbeit mit Kollegen aus vielen Disziplinen. Ich freue mich darauf, die Kollegen kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten." Um auch seine Gemeinde kennenzulernen, hat sich Traugott Roser Zeit genommen. "Ich möchte ein Gespür dafür bekommen, was den Menschen hier wichtig ist." Ein Moralprediger will er auf keinen Fall sein, sagt er und winkt lachend ab.

"Ich möchte ein Gespür dafür bekommen, was den Menschen hier wichtig ist."

Die Predigt ist vorbei, und Traugott Roser ist wieder der lebensfrohe Mittelfranke. Er beginnt zu singen, und die Gemeinde stimmt ein. Es ist eine spontane Einlage, die die Gemeinde nicht erwartet hat: "Als er begonnen hat zu singen, war ich sehr bewegt", sagt Friederike Giesecke von Bergh, Fachschaftssprecherin der evangelischen Fakultät, die Traugott Roser ebenfalls als Fürsprecherin mit Segensworten bedacht hat. Auf dem Empfang nach seiner Amtseinführung steht Traugott Roser inmitten seiner Gemeinde. Er lächelt befreit, wie an dem Nachmittag in seinem Büro, vielleicht nur ein bisschen glücklicher.

Dieser Artikel von Julia Nüllen ist in der Juli-Ausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen.

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