Pressemitteilung upm

Ein sechsdimensionales Problem

Wie sich vier Kinder und zwei Karrieren verbinden lassen - ein Beispiel

Münster (upm), 23. Juli 2013

Zwischen Formeln, Kalendern und Kindern: das Professoren-Ehepaar Isabel Heinemann und Mario Ohlberger.
Zwischen Formeln, Kalendern und Kindern: das Professoren-Ehepaar Isabel Heinemann und Mario Ohlberger. Foto: WWU - Peter Leßmann

"Morgens ab 6.30 Uhr herrscht bei uns für zwei Stunden Ausnahmezustand", beschreibt Historikerin Isabel Heinemann den Start in den Tag ihrer Familie. Sie wecken die Kinder, ziehen sie an, frühstücken gemeinsam, bringen die neun- und achtjährigen Mädchen zum Schulbus, den Sechsjährigen in die Kindertagesstätte, und übergeben den Jüngsten (knapp zwei Jahre alt) zuhause der Kinderfrau – und das alles in wesentlich kürzer erscheinenden zwei Stunden. Vermutlich sieht so der Tagesbeginn vieler Großfamilien aus. Das Besondere an der Familie Heinemann/Ohlberger ist, dass beide Eltern erfolgreiche wissenschaftliche Karrieren an der WWU bestreiten. "Eine sechsköpfige Familie zu haben bedeutet, vor einem sechsdimensionalen Problem zu stehen", sagt Mathematiker Mario Ohlberger schmunzelnd. Und trotzdem – oder vielmehr genau deswegen – möchten sie Studierenden und Promovierenden mit Kinderwunsch Mut machen: "Wagen Sie es! Den richtigen Zeitpunkt für Kinder gibt es ohnehin nicht!"

"Eigentlich gehört unsere Kinderfrau auch auf das Familienfoto. Ohne sie wäre unser Leben so nicht möglich."

Die WWU trägt seit Juni 2008 das Zertifikat "audit familiengerechte Hochschule" und möchte "das Arbeiten und Studieren mit Kind, statt das Arbeiten und Studieren trotz Kind" fördern. Iris Oji, Leiterin des Servicebüros Familie der WWU, erklärt, dass die Notwendigkeit der Zertifizierung darin bestehe, dass sich das Rollenverständnis von Männern und Frauen gewandelt habe. "Beide Geschlechter möchten an der Kindererziehung mitwirken, aber gleichzeitig auch die Karriere verfolgen", betont sie. Hier kann der Dual-Career-Service weiterhelfen. Wenn der Ehe- oder (eingetragene) Lebenspartner eine wissenschaftliche Stelle an der WWU antritt, wird der andere dabei unterstützt, ebenfalls seine Berufsperspektive in Münster zu gestalten.

"Wenn der Partner in einer anderen Stadt arbeitet, ist eine Doppelkarriere mit Kindern  nur sehr schwer zu realisieren", weiß Isabel Heinemann aus eigener Erfahrung. "Bei uns jedenfalls ist es ein Job für zwei." Noch dazu einer, der Zeit braucht. Das zeigt sich auch am unterschiedlichen Tempo der wissenschaftlichen Karrieren. Bereits seit ihrer Jugend sind sie und Mario Ohlberger ein Paar. Die Schulzeit, das Studium und die Doktorarbeiten verliefen parallel. Während der Assistenzzeit der beiden an der Universität Freiburg bekamen sie drei Kinder. Als Mario Ohlberger kurz nach der Geburt des dritten Kindes 2007 nach Münster berufen wurde, zog die Familie dorthin um. Dies bedeutete auch eine Herausforderung für das "Projekt Doppelkarriere", denn während Mario Ohlberger seine Professur antrat, nahm Isabel Heinemann erst einmal Elternzeit.

"Es war eine entscheidende Zeit für uns", sagt sie rückblickend, denn sie merkte deutlich: "Wenn ich keine Wissenschaftlerin sein kann, bin ich nicht glücklich." Wahrscheinlich erinnert sich Isabel Heinemann deshalb so genau an den Moment, der ihr Leben entscheidend veränderte. "Ich fütterte gerade den Jüngsten, das Telefon klingelte, ich stieß mir den Kopf und nahm ganz benommen die Forschungszusage der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für meine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe auf", erzählt sie lächelnd. Damit begann ein neuer Lebensabschnitt und der Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe an der WWU. Ihr Mann sei für Isabel Heinemann in dieser Zeit die entscheidende Stütze gewesen, organisatorisch und – vielleicht noch wichtiger – moralisch.

Organisatorische Unterstützung bietet auch die Universität Münster durch ihr Angebot für Familien von Beschäftigten. Die uni-eigene Kita wurde ursprünglich nur für Studierende mit Kind eingerichtet, mittlerweile betreut sie auch die Kinder vieler Angestellter. Während der Ferienzeiten, die oft nicht vollständig mit der vorlesungsfreien Zeit übereinstimmen, gibt es Ferienbetreuungsprogramme. Hier können die Kleinen zum Beispiel selbst ihren Forschergeist entdecken, indem sie an Ausflügen teilnehmen und die Natur erkunden. Die Kinderbetreuung ist für berufstätige Eltern eine der größten Herausforderungen. "Eigentlich gehört unsere Kinderfrau auch auf das Familienfoto – ohne sie wäre unser Leben so nicht möglich", betont Isabel Heinemann anerkennend. Die Familie Heinemann/Ohlberger gibt ein Gehalt pro Monat allein für die Kinderbetreuung aus. "Das ist so. Da darf sich niemand Illusionen machen", berichtet Mario Ohlberger. Aber diesen Preis bezahlen die Professoren gerne, um dadurch ihre wissenschaftliche mit ihrer familiären Leidenschaft in Einklang zu bringen.

Ihre Terminkalender synchronisieren sie online, aber auch der klassische sechsspaltige Familienplaner in der Küche fehlt nicht. "Kommt Papa heute früh oder Mama?" Täglich wird aufs Neue besprochen, wer die Kinder abholt und wer länger im Büro bleibt. Abendliche Kolloquien oder Dienstreisen dürfen keinesfalls parallel liegen. Wenn die Kinder um 20 Uhr im Bett sind, stehen Elternabende, Arbeit oder mal eine halbe Stunde zu zweit vor dem Fernseher an. "Die Planung funktioniert nur Hand in Hand", sagen die Eltern.

"Wir arbeiten zwar beide am Anschlag, aber das ist kein Problem, sondern unser Wunsch."

Planbarkeit und Familienfreundlichkeit vermissen sie in der wissenschaftlichen Landschaft in Deutschland allerdings noch sehr. Die DFG hat zwar in den letzten Jahren viel für die Chancengleichheit von Frauen und Eltern getan. So werden zum Beispiel bei der Altersbegrenzung von Anträgen für jedes Kind zwei Jahre angerechnet. Allerdings zählt nach wie vor mehr Quantität als Qualität bei der Begutachtung bisheriger Forschungsleistungen, meinen Mario Ohlberger und Isabel Heinemann. Dabei sei die Länge der Publikationsliste kein Indiz für die Forschungsqualität. Darüber hinaus mache es die Beschäftigungssituation an Universitäten für Familien sehr schwer. Es gebe zu wenige feste Stellen, die Eltern auf soliden perspektivischen Boden stellten. Die Unsicherheit der Drittmittel-Förderung und befristeter Stellen seien leider zumeist die Normalität.

Von alledem solle sich aber niemand entmutigen lassen, finden Isabel Heinemann und Mario Ohlberger. "Wir arbeiten zwar beide am Anschlag, aber das ist kein Problem, sondern unser Wunsch. Die Familie hat auch entscheidende Vorteile für die Wissenschaft", meint das Paar. "Kinder eröffnen den Blick auf das Wesentliche", findet Mario Ohlberger. Die Familie sei seine ganz eigene Burn-Out-Prävention, denn er habe durch sie gelernt, sich besser zu organisieren, keine Zeit für Beiläufiges zu verschwenden und auch keine Angst vor beruflichen Absagen zugunsten der Familie zu haben. "Es gibt für mich einfach Wichtigeres als die Karriere."

Dieser Artikel von Caroline Frank ist in der Juli-Ausgabe der Uni-Zeitung wissen|leben erschienen.

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