Pressemitteilung upm

"So ganz ohne Internet?"

Eine Woche ohne Netzverbindung: KoWi-Student Christoph Wind testet, ob und wie das Studium „offline“ funktioniert

Münster (upm), 23. Juli 2013

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen beziehungsweise der Student (Christoph Wind/Mitte), wenn er - zum Beispiel bei der Literatursuche - ohne Internet auskommen muss.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen beziehungsweise der Student (Christoph Wind/Mitte), wenn er - zum Beispiel bei der Literatursuche - ohne Internet auskommen muss. Foto: WWU - Peter Leßmann

Lange hat es nicht funktioniert: Ich blicke in das erstaunte Gesicht einer befreundeten Kommilitonin. Wir sitzen in der Küche ihrer WG vor unseren Laptops, während sie sich ein Lachen verkneifen muss. Wir waren gerade dabei, unser gemeinsames Referat vorzubereiten, als ich ihr eröffne, dass ich offline bin. "Wie jetzt?", fragte sie mich erstaunt und mit einem breiten Grinsen im Gesicht. "So ganz ohne Internet?"

Die bunte Online-Welt hat mittlerweile Einzug in beinahe alle Bereiche des Alltags gefunden, sei es privat oder im Beruf. Wir kaufen online ein, speichern Urlaubsfotos in sogenannten "Clouds" und googeln schnell, wenn wir etwas wissen möchten. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist längst online unterwegs - deswegen stellt sich automatisch die Frage, ob das Internet so sehr zum Leben gehört, dass es ohne einfach nicht mehr geht. Und das nicht nur im privaten Umfeld, sondern vor allem auch im Studium. Ich wage also das Experiment: Ich bin Student der Kommunikationswissenschaft und werde eine Woche lang komplett auf das Internet verzichten. Immer auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Kann man heute noch offline studieren?

Mit einem flauen Gefühl stehe ich am Montagmorgen auf.  Ich erwische mich dabei, wie ich instinktiv zuerst nach meinem Handy greife. Ich bin es gewohnt, mich morgens im Internet kurz auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu gehört natürlich eine kurze Stippvisite auf Facebook, aber auch ein Update über die Nachrichtenlage auf der Welt. Letzteres ist zwar nicht zwingend notwendig, um im Studium zu bestehen, aber irgendwie gehört es zum Studentenleben dazu. Ansonsten komme ich aber erstaunlich gut zurecht, nur zwischendurch fehlt mir die Möglichkeit kurz Google befragen zu können.

Am nächsten Tag passiert das Unvermeidliche: Ich betrete einen Seminarraum und treffe auf – vollkommene Leere. Ich warte aus Anstand einige Minuten und entscheide, dass ich wohl gerade anderthalb freie Stunden gewonnen habe. Auf dem Weg nach Hause treffe ich in der Stadt tatsächlich einen Kommilitonen aus dem entsprechenden Seminar. Er grinst, als ich ihm von meinem Erlebnis erzähle. "Unser Dozent ist heute krank. Er hat doch eine Mail geschrieben, hast du die nicht gelesen?" Hatte ich selbstverständlich nicht, ich lebe ja gerade in einem anderen Jahrhundert.

Wieder in meinen eigenen vier Wänden angekommen, beschließe ich die gewonnene Zeit für weitere ausstehende Uni-Aufgaben zu nutzen. Da wäre zunächst einmal das bereits erwähnte Referat. Eben dieses bereitet mir während der ganzen Woche einige Bauchschmerzen. Nicht etwa, weil ich mich nicht gut vorbereitet fühlte, sondern vor allem wegen des schlechten Gewissens gegenüber meiner Referatspartnerin. Da ich internetlos bin, muss ich wohl oder übel sämtliche organisatorischen Aufgaben ihr überlassen. Dazu zählt die Literaturrecherche im Online-Katalog der ULB, Mail-Korrespondenz mit unserem Dozenten und das Hochladen unserer Präsentation, um sie im Nachhinein den anderen Seminarteilnehmern zur Verfügung zu stellen. Kurz gesagt: Ohne Internet bin ich ihr wirklich keine große Hilfe, eher eine Belastung. Vom "gemeinsamen Studieren" kann hier wirklich keine Rede sein.

Nebenbei versucht ich mich noch mit einem Forschungsprojekt meiner Arbeitsgruppe in einem forschungspraktischen Seminar zu beschäftigen, welches sich zu dieser Zeit gerade in der Feldphase befindet. Doch plötzlich realisiere ich, dass mir auch hier die Hände gebunden sind. Klassischerweise führen wir eine Befragung durch – und zwar mit Hilfe eines Online-Fragebogens. Vor meinem inneren Auge sehe ich meinen Bachelor-Abschluss förmlich zerbröseln.

"Wer ohne Internetzugang studiert, fällt vor allem seinen Kommilitonen zur Last."

Und dann gibt es noch das Problem mit den Prüfungen, welches wie ein bedrohlicher Schatten über mir schwebt. Zunächst das Problem der Klausurvorbereitung. Es ist gang und gäbe, dass die Dozenten ihre Vorträge während der Vorlesungen anhand einer Power-Point-Präsentation halten, welche die wichtigsten Informationen beinhalten. Da versteht es sich von selbst, dass diese Unterlagen für das Pauken des Klausurstoffs enorm wichtig sind. Es hat sich eingebügert, dass der jeweilige Dozent seine Power-Point-Präsentationen auf einer der uni-internen Online-Plattformen, wie zum Beispiel im sogenannten „Learnweb“ hochlädt. Aber woher nimmt man diese Unterlagen ohne Internet? Als "Offline-Student"  brauche ich in diesem Fall also sehr loyale Freunde, die viel Zeit investieren, um mir all diese Unterlagen auszudrucken. Hier wird also erneut deutlich: Wer ohne Internetzugang studiert, der fällt vor allem seinen Kommilitonen zur Last.

Aber damit noch nicht genug. Um überhaupt in die Situation zu gelangen, sich auf Prüfungen vorbereiten zu müssen, muss jeder Studierende eine bürokratische Hürde nehmen: Die Anmeldung von Prüfungsleistungen. Diese erfolgt üblicherweise über das Online-Portal QISPOS, das über die Homepage der WWU zu erreichen ist. Hier schlägt also das bürokratische Herz des Studiums, denn ohne Anmeldung keine Berechtigung, eine Prüfungsleistung abzulegen und ohne Prüfungen kein bestandenes Studium. Und spätestens jetzt ist mein Experiment zum Scheitern verurteilt. Je nach Studienrichtung ist ein anderes Prüfungsamt zuständig. Das wirtschaftswissenschaftliche Prüfungsamt bietet für den Fall, dass man sich nicht online anmelden kann, "persönliche Meldetermine" an. Diese Information findet sich ironischerweise auch auf der Homepage des Prüfungsamts wieder.

Ganz anders sieht es in meinem Fall aus. Das Prüfungsamt I, welches für die Geisteswissenschaften zuständig ist, bietet ausschließlich Prüfungsanmeldungen über das Internet an. "Es gibt wenige Ausnahmen, aber diese gelten eigentlich nur für spezielle kleine Studiengänge", erklärt mir Sachbearbeiterin Nicole Schwegmann. An dieser Stelle bin ich froh, dass meine Online-Abstinenz nur ein Experiment war.

Am Ende der Woche stelle ich den Internetempfang meines Handys und die WLAN-Funktion meines Laptops wieder ein und bin erleichtert. Man könnte sagen, ich begebe mich zurück in die Zukunft.

Christoph Wind, Jahrgang 1991, studiert Kommunikationswissenschaft im vierten Semester. Das Smartphone ist dabei normalerweise ein treuer Begleiter, egal ob es um uni-relevante E-Mails geht oder darum, Nachrichten und Bilder über den Messenger-Dienst "Whatsapp" zu verschicken.

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