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Münster (upm/jp)
Faszinierende Küste: Experten empfehlen eine behutsame und nachhaltige Nutzung der Meere.<address>© colourbox.de</address>
Faszinierende Küste: Experten empfehlen eine behutsame und nachhaltige Nutzung der Meere.
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"Die letzte große Wildnis der Erde"

Wissenschaftsjahr 2016/17 widmet sich den Meeren

Ozeane bedecken rund 70 Prozent unserer Erde. Für den Menschen sind sie Nahrungsquelle, Ressourcenlager und Transportweg zugleich, für unseren Planeten der Klimamotor schlechthin. Doch sie sind in Gefahr: Plastikmüll, Überfischung, Rohstoffabbau oder Abwässer stören das empfindliche Gleichgewicht dieses Systems. Was bedeuten die Weltmeere für die Menschheit, und welche Folgen hat ihre Ausbeutung? Diesen und anderen Fragen widmet sich das Wissenschaftsjahr 2016/17 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Initiative "Wissenschaft im Dialog" (WiD) mit bundesweiten Ausstellungen, Wettbewerben und Diskussionen.

"Ohne Ozeane gäbe es kein Leben auf unserem Planeten", betont Prof. Antje Boetius. Sie ist Professorin für Geomikrobiologie an der Universität Bremen und Leiterin einer Arbeitsgruppe des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie. Als Vorsitzende des WiD-Lenkungsausschusses ist sie an den Vorbereitungen des neuen Wissenschaftsjahres maßgeblich beteiligt. Die Tiefseeforscherin weiß durch ihre Untersuchungen mit Unterwasserrobotern um die Schönheit der Meere – und um ihre Bedrohung. "Die Folgen des globalen Wandels für die Tiefsee lassen sich noch nicht genau vorhersagen, weil sie so schwer zugänglich und so wenig erforscht ist. Erst seit kurzem werden die technischen Möglichkeiten der Unterwasser-Robotik für die Forschung erschlossen", erklärt sie. Doch schon jetzt sei klar: Die Nutzung und Ausbeutung der Meere könne auch den Lebensraum vieler Arten in der Tiefsee bedrohen.

Ein Problem ist beispielsweise der Müll: Tüten, Plastikflaschen oder Zigarettenkippen treiben ins Meer hinaus und sammeln sich etwa auf dem Nordpazifik zu riesigen Müllteppichen. Dort verrottet das Plastik nicht, sondern zerfällt in immer kleinere Teile oder sinkt ab zum Boden. Schon länger ist bekannt, dass Seevögel und Wale, aber auch Bewohner des Meeresbodens das sogenannte Mikroplastik aufnehmen. AWI-Wissenschaftler wiesen die Partikel nun ebenfalls in Speisefischen nach.

An der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster forscht der Mikrobiologe Prof. Alexander Steinbüchel an einer Lösung des Müllproblems. "Man kann Mikroorganismen einsetzen, um mithilfe biotechnologischer Prozesse biologisch abbaubare Kunststoffe zu entwickeln", sagt er. Im Fokus stehen dabei sogenannte Polyhydroxyfettsäuren. Kunststoffe aus diesen Verbindungen würden sich nicht im Meer anreichern, sondern nach einiger Zeit abgebaut.

Einen Durchbruch in der industriellen Nutzung gab es bisher allerdings nicht, noch sind erdölbasierte Kunststoffe preiswerter. Zudem ist es für viele Bereiche gar nicht wünschenswert, biologisch abbaubares Plastik einzusetzen, gibt der Mikrobiologe zu bedenken: "Sie möchten beispielsweise kein Auto mit einer Kunststoff-Stoßstange haben, die sich auflöst." Im Verpackungsbereich seien biotechnologisch hergestellte Kunststoffe dagegen sinnvoll. Steinbüchels Forschung soll dazu beitragen, sie hierfür attraktiver zu machen – und künftigen Generationen ein saubereres Meer zu hinterlassen.

Ein Umdenken in Sachen Müllentstehung und Ressourcennutzung fordert auch Prof. Sabine Schlacke vom Institut für Umweltund Planungsrecht der Universität Münster. Die Rechtswissenschaftlerin, die Mitglied im "Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" ist, geht allerdings noch weiter: "Einer neu zu errichtenden Weltmeeresbehörde sollte die Aufgabe übertragen werden, die nachhaltige Nutzung der Meere zu überwachen." Das Meer sei als Menschheitserbe zu betrachten, daraus lasse sich ein System geteilter Nutzungsrechte zwischen Staaten ableiten. Eine "World Oceans Organization" sollte als unabhängiger Sachwalter über die nachhaltige Nutzung wachen. Ferner seien Teile des Meeres "in Ruhe zu lassen" – gerade dort, wo ein Wettlauf um die Ressourcen begonnen habe, so Sabine Schlacke. Tiefseeforscherin Antje Boetius meint: "Das Meer ist die letzte große Wildnis der Erde. Wenn es keine Rückzugsorte mehr gibt, bedroht das nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch unsere Fantasie."

Quelle: "wissen|leben" Nr. 1, 03. Februar

Autorin: Juliette Polenz

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