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Münster (upm)
Prof. Dr. Ursula Nelles<address>© WWU - Peter Wattendorff</address>
Prof. Dr. Ursula Nelles
© WWU - Peter Wattendorff

"Vielleicht schaue ich auch einfach nur in die Botanik..."

Rektorin Prof. Ursula Nelles über Journalismus, ihre Amtszeit und den nahenden Ruhestand

Am 30. September wird sie letztmals als Rektorin in ihrem Dienstzimmer arbeiten – nach exakt zehn Jahren endet an diesem Tag die Amtszeit von Prof. Ursula Nelles. Einerseits freut sie sich auf ein großes Maß an Freiheit, andererseits weiß sie noch nicht wirklich, wie ihr die Freizeit bekommen wird. Mit Norbert Robers sprach sie über modernen Journalismus und über die politischen Angebote, die sie jedoch allesamt ausschlug.

Sie geben mit der Juli-Ausgabe letztmals die "wissen.leben" heraus. Haben Sie sich in den vergangenen Jahren mithilfe der Universitätszeitung gut informiert gefühlt?

Das war eindeutig der Fall. Zum einen habe ich dort viele interessante Porträts und Hintergrundgeschichten entdeckt. Und gerade weil die wissen.leben nicht täglich erscheint, habe ich häufig die Gelegenheit genutzt, bestimmte Ereignisse mit zeitlichem Abstand erneut wahrzunehmen – die Zeitung war für mich oft wie ein kleines Tagebuch.

Es gibt nicht wenige fachkundige Beobachter, die vor dem Hintergrund des Internet-Angebots der gedruckten Zeitung keine Zukunft geben. Teilen Sie diese pessimistische Prognose?

Auch ich bin viel online, aber ich schätze es, morgens beim Frühstück eine Zeitung in Händen zu halten. Wenn die wissen.leben kam, habe ich sie mir oft für eine Pause an die Seite gelegt, um in Ruhe die längeren Artikel zu lesen. Online habe ich ein anderes Leseverhalten: Dabei geht es meistens darum, sich schnell auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Die Papierlandschaft wird meiner Einschätzung nach nicht vollkommen verschwinden. Ich habe aber meine Zweifel, dass es für die gedruckte Tageszeitung auch in ferner Zukunft eine wirtschaftliche Basis geben wird – ich gebe eher Wochen- oder Monatszeitungen und Magazinen eine langfristige Chance.

Sie haben in Ihren zehn Amtsjahren eine Vielzahl von Interviews gegeben. Wie beurteilen Sie den modernen Journalismus?

Das Bedürfnis nach Aktualität verlangt dieser Branche eine große Geschwindigkeit ab. Das hat den für mich zweifelhaften Trend zur Folge, dass viele Journalisten möglichst schon heute Nachrichten über Ereignisse verbreiten wollen, die erst morgen stattfi nden werden. Diesen Trend finde ich befremdlich. Es irritiert mich auch, weil es oft auf Kosten der Qualität geht.

Haben für Sie die Medien daher die ihnen oft zugeschriebene Funktion der "vierten Gewalt im Staat" eingebüßt?

Nein. Schon im 19. Jahrhundert hat man die Herstellung von Öff entlichkeit als eine Art demokratischer Kontrolle verstanden. Das gilt noch heute. Der Aspekt der ,Gewalt‘ in diesem Zusammenhang ist für mich dagegen negativ besetzt. Bei uns gilt das Prinzip, dass jemand erst schuldig ist, wenn man ihm die Schuld nachgewiesen hat. Heute werden dagegen Verdächtige in der Öffentlichkeit häufig bereits als Täter hingestellt. Das ist eine für mich inakzeptable Form der Vorverurteilung, die wir beispielsweise im Zusammenhang mit Plagiatsvorwürfen von der Online-Plattform vroniplag kennen.

Sie sind nicht nur letztmals Herausgeberin der Universitätszeitung, sie absolvieren derzeit viele Termine zum letzten Mal. Sind Sie kurz vor dem bevorstehenden Ruhestand eher in Sorge oder voller Erleichterung?

Ich spüre eine Gemengelage von Gefühlen. Ja, in mir kommt dann und wann ein Gefühl der Erleichterung auf. Auf der anderen Seite bin ich sehr entspannt, weil ich es als ausgesprochen angenehm empfinde, zu wissen, dass ich einen sehr guten Nachfolger habe. Es wird daher keinen Bruch, sondern einen organischen Übergang geben. Ich gebe aber zu, dass ich mit Blick auf den vierten oder fünften Tag nach dem Ausscheiden etwas in Sorge bin, ob ich das Ausschlafen dann immer noch als so angenehm empfinden werde.

Hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt vor zehn Jahren ein klares Ziel vor Augen, oder dachten Sie eher: Mal schauen, wie es sich entwickelt?

Ersteres. Ich wollte die Universität aufwecken und flott machen. Mir sagte damals ein Professor zu Recht, dass diese Universität freundliche Mittelmäßigkeit atme. Die WWU hatte schon damals viele hervorragende Einrichtungen, aber tatsächlich sah und spürte man es kaum. Zudem kam die Verwaltung sehr bürokratisch daher. Ich bin mir sicher, dass sich beides erkennbar gewandelt hat.

Wie haben Sie diese Ziele angepackt?

Im ersten Jahr war ich schier überwältigt von der Fülle der Aufgaben. Hätte ich schon damals gewusst, was ich heute über die Universität weiß – ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt den Mut gehabt hätte, dieses Amt anzutreten. Als Dekanin habe ich damals einen Vortrag des Präsidenten der Universität Stanford gehört, der die These vertrat, dass es auf dem Weg an die Spitze vor allem darauf ankomme, ein Wir-Gefühl herzustellen. Als ich ihn fragte, wie man das anstelle, sagte er: Sie müssen einfach überall präsent sein und mit möglichst jedem reden. Ich habe deshalb Kommunikationswege etabliert, die möglichst vielen Mitgliedern der Universität deutlich machen, dass sie Teil des Teams sind. Auf Direktiven und Anweisungen reagiert ein System, das auf Freiheit von Forschung und Lehre basiert, zu Recht allergisch.

Sie waren in den vergangenen Jahren immer mal wieder für politische Ämter im Gespräch. Hat Sie die Politik prinzipiell nicht gereizt, oder waren die jeweiligen Offerten nicht attraktiv genug?

Zu Schulzeiten hatte ich tatsächlich die Idee, in die Politik zu gehen. Im Laufe der Jahre habe ich aber festgestellt, dass es weit effektiver ist, in einem bestimmten Bereich sachverständig zu sein und von der Politik deshalb angehört zu werden. So kann man Sachpoli-tik machen, ohne sich an der typischen parteipolitischen Klüngelei beteiligen zu müssen. Zudem habe ich gelernt, dass ein Minister im System Politik maximal zwei ,Würfe‘ in Form von Gesetzesvorschlägen frei hat. Hinzu kommt, dass es rund zehn Jahre dauert, bis ein Gesetz seine volle Wirkung entfaltet. Für all das bin ich einfach zu ungeduldig.

In dieser Beziehung ist das System Wissenschaft attraktiver?

Eindeutig – es stellt mich schneller und öfter zufrieden. Noch besser ist nur das Kochen: Das sieht man schon nach einer halben Stunde, was man geleistet hat. Und was kommt nach dem 30. September 2016?

Kluge Menschen, die diese Phase schon hinter sich haben, haben mir gesagt: Die ersten sieben Angebote muss man ablehnen. Ich sortiere all die Möglichkeiten derzeit und bin mir zumindest in einem Punkt sicher: Ich werde nicht beschäftigungslos sein. Vielleicht schaue ich auch einfach nur in die Botanik, wenn mir danach ist ...

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, 20. Juli 2016.

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