(A2-27) Die Organisation der Religion

Die religiösen Dinge in Deutschland unterliegen – wie vielfältige Beobachtungen belegen – seit ca. 1960 einem langgestreckten Transformationsprozess. Hier verbinden sich die Ausdünnung volkskirchlicher Bindungen, die wellenförmig verlaufende Rolle freier Religiosität und Spiritualität und die Etablierung zugewanderter Großreligionen, insbesondere des Islams, in einem mehrschichtigen Befund. Einen deutlichen Kontrast zu dieser empirisch-materiellen Dynamik des Sachgebiets bildet die Statik der einschlägigen (verfassungs-) rechtlichen Gewährleistungen: Art. 4, Art. 7 und Art. 140 GG (in Verbindung mit den „Weimarer Kirchenartikeln“) sind seit 1949 unverändert geblieben, so dass die rechtliche Verarbeitung der Veränderungsprozesse auf anderer Ebene stattfindet, vor allem durch die einzelfallbezogene Konkordanz mit anderen Verfassungsbestimmungen (einschließlich des Europarechts und der völkerrechtlichen Gewährleistungen), durch Vertragsschlüsse zwischen Staat und Religionsgemeinschaften und gelegentlich durch einfaches Gesetzesrecht.

Vor diesem Hintergrund will das Forschungsprojekt „Die Organisation der Religion“ die Entwicklungslinien, den Stand und die Perspektiven des Religionsorganisationsrechts näher aufschlüsseln. Als übergreifende Frage soll hierbei in verschiedenen Teilprojekten untersucht werden, wie sich die Formangebote des staatlichen Rechtskreises zu den Organisationsbedürfnissen der Religionsgemeinschaften verhalten. Genügt also die in Deutschland vorherrschende Bereitstellung allgemeiner, nicht religionsspezifischer öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Organisationsformen den Vorgaben der religiösen Vereinigungsfreiheit? Oder ist – aus entgegengesetzter Perspektive – die Verpflichtung auf anschlussfähige Strukturen gerade sinnvolles Element eines praxistauglichen Religionsrechts? Als Leitperspektive soll die funktionale Bestimmung der rechtlichen Organisation von Religionsgemeinschaften herausgearbeitet werden, die für beide Seiten einen pragmatischen Umgang mit entsprechenden Notwendigkeiten ermöglicht; damit verschiebt sich der Fokus von einer gesamthaft-prinzipiellen Verortung des Themas hin zu gestuften, aufgabenspezifischen Regelungsarrangements.

Methodisch steht die bewusste Zusammenführung von verfassungsrechtlichen Vorgaben mit verwaltungswissenschaftlichen Erkenntnissen der organisationsbezogenen Governance-Forschung im Vordergrund, die dabei helfen soll, die hinderliche Trennung zivil- und öffentlich-rechtlicher Betrachtung zu überwinden und durch einen intradisziplinär aufgeklärten Ansatz zu ersetzen.

Die Relevanz der Fragestellung ergibt sich neben einer allgemein freiheitssichernden Perspektive vor allem in Hinblick auf die zahlreichen Arbeitsbeziehungen, die zwischen Religionsgemeinschaften und staatlichen Stellen bestehen. Die gemeinsame Aufgabenorganisation von religionsneutralem Staat und Religionsgemeinschaften sieht sich mit der Pluralisierung der religiösen Landschaft neuartigen Herausforderungen ausgesetzt, die es wissenschaftlich zu begleiten gilt. Hierzu dient auch die angestrebte funktionale Rekonstruktion der Funktion und des Bestandes von Organisationstypen dieser Akteure.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppe Implementation und Durchsetzung von Normen.