(B2-21) Politik im Kultvollzug – Gottesdienst in der Politik: Die Kultsatzungen (leges sacrae) griechischer Stadtstaaten als Quelle antiken Bewusstseins für religiös-politische Interdependenz

Unreflektierte Vermischung von Religion und Politik gehört zu den Axiomen, die unter anderem den Gesellschaften des griechischen Kulturkreises von archaischer bis in römische Zeit gern unreflektiert unterstellt werden. Untrennbar – so kann man von Standardwerken wie U. v. Wilamowitz-Moellendorffs „Glaube der Hellenen“ oder M. P. Nilssons „Geschichte der griechischen Religion“ bis zu neueren Studien wie etwa L. Bruit Zaidman / P. Schmitt Pantels „Religion grecque dans la cité grecque ...“ immer wieder lesen – sei das eine mit dem anderen und das andere mit dem einen verflochten, so dass wohl von einer „politischen Religion“ oder einer „religiösen Politik“, nicht aber von einem Nebeneinander beider Phänomene gesprochen werden könne.

Der Verdacht, dass es sich dabei letztlich um einen rückprojizierten Gegenentwurf zu den sogenannten Profangesellschaften der Neuzeit handelt, liegt auf der Hand – und die Möglichkeit zur Probe aufs Exempel bietet uns eine Gruppe von Quellen, die aus erster Hand über das Mit- bzw. Nebeneinander von Gottesdienst und Staatlichkeit Auskunft geben: die sog. Kultsatzungen oder leges sacrae , die in teils erschöpfender Ausführlichkeit Einzelheiten zu Teilnehmerkreis, Organisation, Ablauf etc. meist städtischer Kulte in verschiedensten Regionen der griechischen Welt regulierten.

Nicht weniger als 153 derartige Texte oder Textfragmente wurden vor über 100 Jahren durch J. v. Prott / L. Ziehen zusammengestellt (Leges Graecorum Sacrae, 1896-1906), eine Sammlung, die F. Sokolowski in den 50er und 60er Jahren des 20. Jh.s in drei Schritten erweitert hat (Lois sacrées de l´Asie Mineure, 1955; Lois sacrées des cités grecques. Supplément, 1962; Lois sacrées des cités grecques, 1969) und die seitdem durch Neufunde laufend Zuwachs erfährt, so etwa aus dem karischen Bargylia (K. Zimmermann, Späthellenistische Kultpraxis in einer karischen Kleinstadt. Eine neue lex sacra aus Bargylia, Chiron 30, 2000, 451-485) oder zuletzt aus dem lykischen Patara (H. Engelmann, in: Lykien, hg. v. Ch. Schuler, 2007, 134f.), mit dessen epigraphischer Aufarbeitung der Projektleiter derzeit betraut ist.

Einzelne der darin behandelten Aspekte vom Zeremoniell bis zur Finanzierung wurden bereits gründlich untersucht, doch eine grundsätzliche Annäherung an das Verhältnis zwischen Religion und Politik in diesen Texten steht bis heute aus und soll im Rahmen von „Interdependenz und Dissoziation“ geleistet werden. Terminologische Studien zu kultischen bzw. politischen Inhalten von Schlüsselbegriffen sind dazu als philologisch-epigraphische Vorarbeiten vonnöten; historische Schwerpunktthemen werden etwa das Spannungsfeld zwischen sakraler und politischer Funktion der bezeugten Akteure oder die sakrale Aufladung politischer Differenzierungen (e. g. Bürger / Metöken / Frauen / Sklaven / Freigelassene / Römer) sein. Aber auch eine Prüfung der medialen Wirkung im archäologischen Kontext (öffentlicher Raum / Kultstätte) soll dazu beitragen, eine differenzierte Antwort auf die Frage zu erarbeiten, ob wir in den leges sacrae ein Medium einer diffusen „politischen Religion“ oder einer bewussten und gezielten Interdependenz zwischen beiden Bereichen zu sehen haben.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppen Säkularisierung und Sakralisierung der MedienImplementation und Durchsetzung von Normen sowie Religiöse Einflüsse auf wirtschaftliche Ordnungen und Handlungen.