20160204 Amir Dziri
© Amir Dziri

Sich religiös immer wieder überprüfen - Amir Dziri ist der erste Doktorand am Zentrum für Islamische Theologie.
Ein Beitrag aus Wissen│Leben, die Zeitung der WWU Münster, Nr. 1, 2016

Scholastik ist – grob gesagt – das Leitthema seiner Dissertation. Für den einen oder anderen Beobachter mag dieser Begriff dröge, wissenschaftstheoretisch und nicht gerade praxisrelevant klingen. Wer Amir Dziri, den ersten von rund einem Dutzend Doktoranden des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) der Universität Münster, kennenlernt, merkt jedoch schnell, dass Scholastik als die wissenschaftliche Beweislehre sehr wohl auch in der modernen islamischen Theologie Fragen beantworten kann. Zum Beispiel, welche Aussagen und Argumente auf welche Weise ge- oder missbraucht werden, um Inhalte des Korans zu transportieren. Einiges beschäftigt den gebürtigen Tunesier, der seit frühester Kindheit in Deutschland lebt, tagtäglich, wenn er in der islamischen Theologie forscht oder als Dozent der Religionspädagogik lehrt. Zum Beispiel, warum es der Islam so schwer hat, in Deutschland neben den christlichen Religionen zu bestehen. Die Gründe macht der 31-Jährige an zwei Dingen fest: „Der Islam als Religion ist in Deutschland noch nicht lange präsent.“ Zum anderen gebe es viele Menschen, die keinen Muslim persönlich kennengelernt hätten. Vieles, was Amir Dziri sagt, kommt nicht allein aus der Theologie. Auch die Soziologie, die Politikwissenschaft oder die Erfahrungen im Wissenschaftsapparat der Hochschulen Bonn, Erfurt und Münster kommen zum Ausdruck. Zur islamischen Theologie brachte ihn erst die Suche nach seiner Familiengeschichte.

„Als Kind habe ich mich selbstverständlich mit Deutschland identifiziert. Als junger Erwachsener kam mit der Frage nach meiner Herkunft auch die nach den religiösen Wurzeln. Das ließ mich nicht mehr los“, sagt der Muslim. Es folgte das Studium der Asienwissenschaften sowie der Geschichte und Kultur West- und Südasiens an der Universität Bonn. In Erfurt begann er ein Studium der Islamwissenschaft, bevor er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der bekenntnisorientierten Theologie ans Zentrum für Islamische Theologie wechselte. „Der Bekenntnisbezug war mir immer wichtig, und Religionswissenschaft lässt sich in Münster wissenschaftlich gut ausleben“, unterstreicht der Deutsch-Tunesier. In seiner Doktorarbeit „Die Ars Disputationis in der Islamischen Scholastik. Grundzüge der muslimischen Argumentations- und Beweislehre“ geht er unter anderem der Frage nach, wie der Islam die Wissenschaft in der Geschichte berührte. Amir Dziri stellt fest, dass es einst im Islam  ein sehr vielseitiges und vielschichtiges Wissenschaftsverständnis gab. „Wissenschaftlichkeit war nicht durch eine feste Methode geprägt, sondern resultierte aus der Überzeugungskraft von Argumenten, die in einen offenen Diskurs eingebracht werden. Es lag an jedem einzelnen Wissenschaftler, die Fachkollegen wie auch die Öffentlichkeit von seinen Auffassungen zu überzeugen.“ Neben den historischen Islam-Zusammenhängen beschäftigt sich der Wissenschaftler, der bei den Professoren Mouhanad Khorchide und Marco Schöller promovierte, auch mit aktuellen Fragen. „Die Alltagsbezüge und Rituale wie das Fasten oder die täglichen Gebete sind bei Muslimen viel stärker ausgeprägt“, meint Amir Dziri. „Daher zwingen uns die religiösen Alltagsgebote aufgrund ihrer ‚Dichte‘ dazu, sich immer wieder aufs Neue religiös zu überprüfen.“ Auch im Christentum stelle sich die Kirche kritische Fragen zu ihren Riten und Regeln. Aus soziologischer Sicht werde die Stärke einer Religion, sagt der Wissenschaftler mit Blick auf Deutschland, automatisch größer, wenn sie ein Dasein als Minderheit führt. „Die Religion wird in diesen Fällen oft zum Katalysator sozialer oder politischer Bewegungen. Das war damals auch in der zerbrechenden DDR so.“ Natürlich treiben auch Amir Dziri die vielfältigen Debatten über die Rolle des Islams in Deutschland und über die Ereignisse in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof und in anderen deutschen Städten, die häufig miteinander verquickt werden, um. „Muslime sind wieder einmal stärker im Fokus. Die öffentliche Diskussion der letzten Wochen wurde unbeschreiblich hysterisch geführt. Niemand weiß, was eigentlich passiert ist, aber allen reißt aus unterschiedlichen Gründen der Geduldsfaden.“ Manche auch in etablierten Zeitungen geäußerte Positionen habe er als „erschreckend“ empfunden. Derzeit werde die Diskussion aber wieder sachlicher geführt, beobachtet er. „Das ist der richtige Weg zwischen Verklärung und Verachtung  – er tut uns allen gut.“

 Wissen│Leben 1.2016