LET'S LOOK OUTSIDE

Das Kunsthaus Kannen öffnet neue Perspektiven
Kunsthaus Kannen
© Kunsthaus Kannen

Ein ganzes Haus voller Kunst
Wirft man einen Blick hinter die großen Fenster des Kunsthaus Kannen, entdeckt man immer wieder etwas Neues. In dem lichtdurchfluteten Ausstellungsraum sieht man Besuchende, die sich angeregt über die Bilder der Künstler*innen unterhalten. Nur einen Raum weiter arbeiten diese gerade eifrig an ihren neuen Werken. Durch geübte Handgriffe entstehen hier kleine Tonmännchen, während sich einen Platz weiter Strich um Strich ein farbenfrohes Bild aus vielen kleinen Linien zusammensetzt.

Gerade die Nähe zwischen Kunstwerk und Künstler*in macht das Kunsthaus Kannen so besonders. Direkt im Kunsthaus befinden sich die Ateliers, die allen dem Verbund der Alexianer zugehörigen Menschen offenstehen. Egal ob aus Stoff, Draht, Acrylfarben oder Pappmaché – die Ateliers bieten eine Möglichkeit, sich mithilfe einer kunsttherapeutischen Begleitung kreativ frei zu entfalten. Die hier entstandenen Arbeiten werden in thematisch abwechslungsreichen Ausstellungen gleich nebenan im großen Ausstellungsraum gezeigt. Die kontinuierlich wechselnden Themen der Ausstellungen behandeln die Kunst und das Leben einzelner Künstler*innen. Auch gezeigt werden die unterschiedlichen künstlerischen Vorgehensweisen zu einem Thema, wie das der Wiederholung. Seit 2009 findet im Kunsthaus in einem Rhythmus von zwei Jahren das 2x2 Forum für Outsider Art statt. Dieses bietet eine Plattform für den Austausch und die Diskussion mit nationalen und internationalen Künstler*innen und Ausstellenden aus dem Bereich der Outsider Art. Aus Kooperationen mit Schulen, Kunstvereinen und der Kunstakademie Münster gehen regelmäßig spannende, neue Projekte und Kunstwerke hervor. Diese sind von den Erfahrungen der Menschen mit den Künstler*innen des Kunsthauses geprägt. Als Teil des Alexianer Campus ist das Kunsthaus nicht nur Ausstellungsort, sondern auch integrative Begegnungsstätte für Künstler*innen mit und ohne psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung.

Klaus Mücke und die Vielfalt der Wiederholung
Wer über den Alexianer Campus geht oder sich im Kunsthaus umschaut, wird immer wieder auf ein Gesicht in den verschiedensten Farben stoßen. Der Künstler Klaus Mücke selbst nennt sie „Frau Blume“. Sie hat zwei große Augen, meist eine runde Nase und manchmal ein breites Lächeln. Ihr Kopf ist gerahmt von Blütenblättern, einmal kleiner, ein anderes Mal größer. Darunter ein plumper Körper. Klaus Mücke hat sie bereits in jeder erdenklichen Farbe gezeichnet. Mit dünnem Stift wiederholt er ihre Kontur wieder und wieder. Dieser Vorgang lässt die Gestalt in kräftiger Farbe erstrahlen. Trotz der Wiederholung ist jede „Frau Blume“ so einzigartig wie ein Fingerabdruck, dem sie mit den feinen, geschwungenen Linien sogar etwas gleicht.

Wenn Klaus Mücke sich für ein Motiv entscheidet, dann schafft er es wieder und wieder. Um und über seinem Atelierplatz sammeln sich seine Werke in farbenfroher Vielfalt. Obst und Musikinstrumente finden sich auf den Gegenständen rund um seinen Platz und fantastische Figuren, wie die Frau Blume, hängen von der Decke. Dies Alles ist genauso Teil seines Lebenswerks wie Motive zum Thema Zauberei und bestimme Menschen, die er über Jahrzehnte immer wieder thematisiert. Der aus Kiel stammende Künstler lebt seit 1970 im Wohnbereich der Alexianer. Im Zuge der Kunsttherapie hat er eine große Zahl an Motiven und Werken geschaffen.

Nicole Szlachetka. Den Emotionen eine Form geben
Die eigenen Gefühle nach außen zu bringen, ist meistens keine allzu leichte Angelegenheit. Mit ihren getöpferten und farbig glasierten Keramikköpfen bringt die Künstlerin Nicole Szlachetka Emotionen zum Vorschein, die sonst eher im Verborgenen bleiben. Aus dem Kunstgeschichtsstudium kennen wir die ausdrucksstarken Büsten in marmorweiß und mit anmutiger Pose von mächtigen Herrschern und Päpsten. Nicole Szlachetka beschränkt sich jedoch nicht auf die Abbildung einer bestimmten Person. Wut, Trauer, Erstaunen, Überforderung und Einsamkeit – das, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, die Gefühle, die sonst hinter der Fassade versteckt bleiben – werden in Szlachetkas Kunst sichtbar. Durch ein kleines Guckloch oder die Öffnung der gesamten Schädeldecke können Betrachtende wortwörtlich einen Blick in das Innenleben der Köpfe werfen. Dem einen Kopf fehlen ein paar Tassen im Schrank. In einer anderen Büste, die eiserne Ruhe ausstrahlt, wird durch die Öffnung im Kopf eine Figur sichtbar, die um Hilfe zu schreien scheint. Auf ironische und humorvolle Weise thematisiert die Künstlerin auch bekannte Sprichwörter in ihren Werken. Neben den Tonköpfen stellt Szlachetka fantasievolle Tiere und menschlich-tierische Mischwesen her, die ebenfalls einen kleinen Einblick in die kreative Arbeit der Künstlerin geben.

Die aus Warendorf stammende Künstlerin arbeitet seit vielen Jahren im Kunsthaus Kannen und stellt ihre Werke regelmäßig im großen Ausstellungsraum aus. In der diesjährigen Frühjahrsausstellung „Schau mich an“ werden neue Arbeiten von Nicole Szlachetkas im Kunsthaus zu sehen sein.

Outsider Art. Was ist das eigentlich genau?
Spricht man über das Kunsthaus und seine Künstler*innen, wird man immer wieder den Begriff „Outsider Art“ hören. Bezeichnet „Outsider Art“ also Kunst von Menschen mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung? Ganz so einfach ist es nicht. Mit dem Begriff „Outsider“ sind hier Künstler*innen gemeint, die aus den unterschiedlichsten Gründen einen erschwerten Zugang zu Gesellschaft und Kunstmarkt haben. Zwar betrifft dies insbesondere Künstler*innen mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung, „Outsider“ können aber auch zum Beispiel Künstler*innen ohne formale Ausbildung oder Inhaftierte sein.

Das macht die Outsider Art zu etwas Besonderem in der Kunstwelt. Der Begriff bezeichnet keine Stilrichtung. Er ist ein Kunstwort, das sich nicht auf eine einheitliche Idee oder ein gemeinsames Thema bezieht, sondern darauf hinweist, dass alle so angesprochenen Künstler*innen auf die eine oder andere Weise ausgeschlossen werden. Diese Besonderheit bringt jedoch Probleme mit sich, die sich auch im Kunsthaus Kannen zeigen.

Man ist es gewohnt, wenn man sich Werke einer Kunstrichtung ansieht, nach Gemeinsamkeiten zwischen den Künstler*innen zu suchen. Welche Gemeinsamkeiten haben Kunstwerke aus einem Haus der Outsider Art? Kann man das Außenseitersein oder gar eine geistige Behinderung und eine „leidende Seele“ in den Kunstwerken erkennen? Die Antwort ist: „Nein“. Die Künstler*innen im Kunsthaus haben ebenso viele verschiedene Gründe für ihre Kunst wie Künstler*innen außerhalb. Manche schaffen Dinge, die sie glücklich machen. Andere haben ein Thema oder ein Material, das sie über Jahre beschäftigt und wieder andere machen durch Kunst sichtbar, was in ihrem Inneren vor sich geht.

Das Label „Outsider Art“ kann Künstler*innen helfen, einen festen Stand im Kunstmarkt zu bekommen, denn nach langen Jahren großen Engagements ist „Outsider Art“ zu einer festen Größe in der internationalen Kunstwelt geworden. Jedoch hat sich das Stigma, mit dem Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft leben müssen, auf die Kunstrichtung übertragen. Outsider-Künstler*innen erfahren Diskriminierung und aus diesem Grund lehnen manche dieses Label für sich ab. Dieses Verständnis von Outsider Art muss sich ändern und daher wird auch im Kunsthaus Kannen diskutiert, wie man mit dem umstrittenen Begriff umgeht.

Praxisfeld: Kunsthaus
Studierende der Kunstgeschichte sind immer wieder Teil des Teams im Kunsthaus Kannen und nehmen an allen Arbeitsprozessen rund um das Kunsthaus teil. Auch wir als Autor*innen dieses Beitrags konnten einen Einblick in das besondere Feld „Outsider Art“ gewinnen. Wir haben hier die Möglichkeit, den künstlerischen Arbeitsprozess und die Menschen hinter den Kunstwerken kennenzulernen. Das theoretische Wissen des Studiums wird durch die Begegnung mit Künstler*innen zu einer nahbaren Erfahrung. Anstelle von Abbildungen arbeiten wir im Kunsthaus mit Originalwerken. Wir sind regelmäßig beteiligt am Kuratieren von Ausstellungen, am Organisieren von Kunstmessen und an den verschiedenen Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit. Der Austausch mit Ausstellenden der Outsider Art aus dem Ausland ermöglicht einen Perspektivwechsel: Wie geht man in anderen Ländern mit der künstlerischen Förderung psychisch erkrankter und geistig behinderter Künstler*innen um? Wir konnten die Outsider Art in all ihren Facetten kennenlernen. Sich mit den Künstler*innen und Werken aus diesem Winkel der Kunstwelt zu beschäftigen, ist eine große Bereicherung unseres klassischen Kunstgeschichtsstudiums.

Das Eintauchen in die vielfältige Welt der Outsider Art kann für Studierende aller Fächer ein neues Interessensgebiet eröffnen. Die kommenden Ausstellungen geben die Möglichkeit, einen Blick durch die großen Fenster des Kunsthauses zu werfen und einzutreten.

| Meike Detert und Joseph Lange

www.kunsthaus-kannen.de