uni kunst kultur-Magazin - Sommer 2024
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Zu Gast beim Orchester der Musikhochschule

Ein Gespräch mit dem Dirigenten Marlon Daniel
Marlon Daniel dirigiert
© Chris Marolf

Kontinuität ist wichtig für Menschen, die gemeinsam in einem Orchester wie dem der Musikhochschule spielen. Man kennt sich, man schätzt sich, man kann sich aufeinander verlassen und hat im Idealfall einen Dirigenten oder eine Dirigentin, der oder die für längere Zeit den Ensembleklang entwickelt und formt.

Und dennoch ist es erfahrungsgemäß immer sehr gut, wenn jemand den Taktstock in Händen hält, der oder die quasi „von außen“ auf ein Orchester blickt. Gäste sind deshalb also immer willkommen, auch beim Orchester der Musikhochschule, das in den zurückliegenden Jahren regelmäßig Besuch „von außerhalb“ bekam. Im Sommersemester 2024 wird Marlon Daniel in Münster sein und mit den Studierenden arbeiten. In Chicago geboren, dort aufgewachsen und bereits in jungen Jahren als talentierter Musiker entdeckt, hat Marlon Daniel inzwischen seine Karriere als Dirigent gut ausgebaut – in den USA ebenso wie in Europa. UniKunstKultur sprach mit ihm über den bevorstehenden Besuch an der Musikhochschule und die Arbeit mit den Studierenden.

UniKunstKultur (UKK): Sie haben im Laufe Ihrer Karriere viele professionelle Orchester dirigiert. Jetzt sind Sie quasi „auf Zeit“ der Dirigent unseres Musikhochschulorchesters, das eben aus Studierenden besteht. Macht das einen Unterschied? Wie gehen Sie an diese Aufgabe heran?

Marlon Daniel (MD): Ich habe bereits einige Erfahrungen im Bereich musikalische Bildung gesammelt und fand dies immer sehr sinnvoll. Neben meiner beruflichen Tätigkeit war ich musikalischer Leiter des Orchesters der Drew University und zuletzt Leiter des Orchesterensembles der Fordham University. Die wichtigsten Unterschiede, die mir aufgefallen sind, sind zum einen die Tatsache, dass Studierendenorchester in der Regel flexibler sind, vielleicht auch deshalb, weil sie oft jedes Jahr oder sogar jedes Semester die Besetzung wechseln. Und zum anderen, dass sie sich noch in der Aufbauphase befinden. Aus diesem Grund kann man mit einem Studierendenorchester oft experimentieren und neue Dinge ausprobieren, was bei einem etablierteren Orchester, das daran gewöhnt ist, Dinge auf eine bestimmte Weise zu tun, eine Herausforderung sein kann. Ich glaube, dass in dieser Entdeckungs- und Entwicklungsphase ein Zauber liegt, der bei jungen Musikerinnen und Musikern eine größere Kreativität freisetzt.

Die Herausforderung besteht darin, dass der transitive Charakter eines Studierendenorchesters oft bedeutet, dass ich nicht nur Dirigent, sondern auch Lehrer bin. Ich muss mich auf die grundlegenden musikalischen Fähigkeiten des Ensembles konzentrieren, wie zum Beispiel das Zuhören und Reagieren auf andere Instrumente, das Erlernen des Zusammenspiels und der gemeinsamen Phrasierung. In einem kurzen Zeitfenster müssen wir alle eine Gemeinschaft aufbauen, die gemeinsam musiziert. Professionelle Orchester bringen das bereits mit – den Studierenden muss man helfen, das zu erreichen. Ich bin von Natur aus ein Baumeister und liebe es, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, das eine musikalisch sinnvolle Erfahrung möglich macht.
 
UKK: Was tun Sie, wenn Sie mit einem Orchester konfrontiert werden, das Ihnen neu und unbekannt ist?

MD: Man lernt es einfach kennen. Das erste Mal mit einem Orchester ist wie ein erstes Date. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass klare Kommunikation und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind und der Aufbau eines Verhältnisses zu einem Orchester sich so schnell wie möglich entwickeln sollte. Dazu muss man aktiv auf den Klang des Orchesters hören, zu Beiträgen ermutigen und positives Feedback geben. Ein effizientes Management der Probenzeit ist ebenfalls ein guter Weg, um zu einer positiven Zusammenarbeit beizutragen. Die Reflexion nach den Proben ermöglicht außerdem eine kontinuierliche Verbesserung der musikalischen Zusammenarbeit und den Erfolg mit einem neuen Orchester. Mit den Studierenden versuche ich, gemeinsame Ziele zu finden, die wir gemeinsam vereinbaren, und ich gebe ihnen die Unterstützung, die sie brauchen, um diese Ziele zu erreichen.

UKK: Sie arbeiten viel in Amerika, aber Sie waren auch häufig in Europa tätig. Gibt es einen Unterschied in der Orchesterkultur? Im Klang? In der Art und Weise, wie die Musikerinnen und Musiker mit dem Dirigenten zusammenarbeiten?

MD: Ich finde, dass großartige Musik immer gleich ist, egal wo man sich auf der Welt befindet. Musik hat die Fähigkeit, das Leben der Menschen zu verändern, und es spielt keine Rolle, auf welchem Kontinent man gerade lebt. Allerdings gibt es unterschiedliche Herangehensweisen an die Werte, die den Künsten beigemessen werden. Und das durchdringt bis zu einem gewissen Grad die Art und Weise, wie Musik aufgeführt und konsumiert wird.

Ich glaube, in Europa liegt der Schwerpunkt eher auf Stil und Tradition (oder auf dem Bruch mit der Tradition), weil es dort staatliche oder öffentliche Unterstützung gibt. In Amerika ist man eher darauf bedacht, dass die Konzerte sich finanziell tragen und erfolgreich sind, was den Kartenverkauf angeht. Infolgedessen neigen wir in Amerika dazu, weniger Risiken einzugehen und populärere Elemente in unsere Programme aufzunehmen, wie Musiktheater oder Filmmusik.

UKK: Was ist das Ziel Ihrer Arbeit hier in Münster? Sie werden ja für drei Monate hier sein. Ist dies eine Gelegenheit, anders zu arbeiten? Meisterkurse oder Workshops werden in der Regel auf wenige Tage der Begegnung und in enger Abfolge der Arbeitsphasen mit einem Abschlusskonzert verdichtet. Hier in Münster ist das anders ... mit wöchentlichen Probenterminen ...
 
MD: Mein Hauptziel ist das Erkunden und die Vorbereitung. Ich bin der Meinung, dass jede Musikschule und Musikhochschule ein Orchester haben sollte. Es vermittelt den jungen Musikerinnen und Musikern viele der Fähigkeiten, die sie brauchen, wenn sie eines Tages eine Stelle in einem professionellen Orchester anstreben, und es entwickelt ihre Kreativität, Musikalität und Technik. Junge Musikerinnen und Musiker sind die Zukunft der Musik und die meisten von ihnen werden diese Erfahrung zu schätzen wissen. Orchester sind das Lebenselixier einer Musikhochschule. Es vereinigt alle Orchesterinstrumente und ist eine unschätzbare Unterstützung für andere Abteilungen einer Musikhochschule.

UKK: Können Sie schon etwas sagen, worum es inhaltlich geht? Welche Musik steht im Mittelpunkt Ihrer Arbeit hier in Münster?

MD: Ich möchte gern Antonín Dvořák zum 120. Todestag und Bedřich Smetana zu deren 200. Geburtstag würdigen und die Studierenden mit deren Musik bekannt machen. Mit zwei Programmen: einem, das sich auf das Orchester als Ganzes konzentrieren wird; und einem, bei dem die Bläser und Streicher als Instrumentengruppen geteilt werden. Dies dient sowohl der Stärkung des Orchesters als auch dazu, eine stärkere Ensemble-Struktur aufzubauen. Ganz konkret will ich arbeiten an Dvořáks Streicherserenade E-Dur op. 22 und dessen Bläserserenade d-Moll op. 44. Mit dem großen Orchester werde ich Smetanas sinfonische Dichtung „Šárka“ aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ studieren – und Beethovens Sinfonie Nr. 7.

Außerdem möchte ich auch die Sopranistin Jennifer Forni aus Amerika mitbringen, die zusammen mit dem Orchester die Brentano-Lieder von Richard Strauss erarbeiten wird. Jennifer wird auch einen Meisterkurs für die Gesangsabteilung der Musikhochschule geben. Dies ist auch etwas, das mir am Herzen liegt: der Einsatz von Gastsolistinnen und -solisten als weitere Möglichkeit künstlerischer Bildung.

UKK: Herr Daniel, herzlich willkommen hier an unserer Hochschule und in unserer Stadt. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und vor allem eine spannende und ertragreiche Arbeit mit den Studierenden der Musikhochschule!

Dass Marlon Daniel in Münster arbeiten wird, geht auf Vermittlung von Koh Gabriel Kameda zurück. Er ist seit 2019 Professor für Violine und kennt Marlon Daniel seit rund 30 Jahren, als beide gemeinsam in den USA an der Manhattan School of Music studierten. Später kamen sie immer wieder zusammen, um musikalische Projekte zu realisieren, unter anderem auch in Guadeloupe, wo Daniel das „Festival International de Musique Saint-Georges” gegründet und dort reiche Erfahrungen im Aufbau eines Orchesters gesammelt hat – Erfahrungen, die nun auch einfließen in Daniels Münster-Engagement im kommenden Sommersemester.

| Das Gespräch führte Christoph Schulte im Walde.

 

Konzerte unter der Leitung von Marlon Daniel

Sonntag, 19.5.24, 15:00 Uhr
Pfingstkonzert des Kammerensembles Münster
Antonín Dvořák: „Serenade für Streicher in E-Dur, op. 22“ und „Serenade für Blasinstrumente, d-Moll, op. 44“
Ort: Konzertsaal der Musikhochschule, Ludgeriplatz 1

Sonntag, 23.6.24, 18:00 Uhr
Sommerkonzert des Sinfonieorchesters der Musikhochschule

Bedřich Smetana: „Šárka“
Richard Strauss: „Brentano Lieder, Op. 68“
Ludwig van Beethoven: „Sinfonie Nr. 7, A-Dur, op. 92“
Ort: Hörsaal H1, Schlossplatz 46

>>Eintritt frei, um Spenden wird gebeten<<