uni kunst kultur-Magazin - Sommer 2024
uni kunst kultur-Magazin - Sommer 2024

Wachsen lassen?

Anmerkungen zu Land Art bei den Skulptur Projekten Münster
Maria Nordmann: De Civitate, 1991-97 | Zustand 2023
© Uni MS | Mathis Neuhäuser

Der Begriff Land Art steht für zwei grundverschiedene Kunstströmungen. Einerseits wird er für große dauerhafte Kunstwerke gebraucht, die in bestehende Landschaften eingreifen und Naturräume verändern. An meist entlegenen Orten realisiert und oft mit gigantischen Ausmaßen distanzieren sie sich kritisch vom Kunstmarkt, Natur wird in ihnen jedoch selten zum Thema.

Andererseits gibt es Land Art auch im Kleinen: Aus Naturmaterialien werden, oft am Wegesrand, vergängliche Kunstwerke erschaffen. Das kann eigentlich jede*r überall machen – Linien im Sand ziehen, Steine auf besondere Weise schichten oder Blüten und Blätter verflechten – ganz nebenbei, wie es Kinder gerne tun. Um sie von der „großen“ Land Art abzugrenzen, wird diese „kleine“ auch als Naturkunst bezeichnet.

Mit meinem Zugang zu Land Art komme ich eher aus dieser Richtung, da ich schon mehrfach an Workshops von Sara Kehmer teilgenommen habe, die sie in Kooperation mit dem NABU-Stadtverband angeboten hat. „Land Art im Kleinen,“ so Sara, „ist im Wesentlichen Kunst mit Naturmaterialien wie Holz, Pflanzen und Steinen. Dabei werden diese Materialien in der Natur gesammelt, ein Kunstwerk wird erschaffen und dieses wird (meist) der Natur wieder überlassen und bleibt nur durch Fotos bestehen. Dabei kann sich der*die Künstler*in mit der Natur, ihren vielfältigen Farben und Formen (achtsam) verbinden und die Landschaft um sich mit den Augen eines Künstlers/einer Künstlerin entdecken und kreativ Ideen umsetzen. Es entstehen also lebendige Kunstwerke, die mit ihrer Umwelt interagieren und interessante Blickfänge darstellen. Land Art öffnet die Augen für die Kunst in der Natur und verbindet Mensch mit Natur. Man kann also sagen, dass das Ziel von Land Art im Kleinen ist, sich mit der Natur zu befassen oder kreative Ideen umzusetzen und den Blick auf die Natur zu schulen.“

Land Art – Kunstwerke, die Natur als Material benutzen – finden sich auch in Münster als Beiträge zu den Skulptur Projekte-Ausstellungen, die seit 1977 alle 10 Jahre neue Kunstwerke in die Stadt bringen. Gemeinsam mit Sara habe ich im Winter 2023 drei dieser Skulptur Projekte besucht. Da wir beide Humangeographie und Landschaftsökologie in Münster studieren und uns für Natur- und Umweltschutz engagieren, haben wir natürlich einen besonderen Blick auf Land Art und beurteilen künstlerische Eingriffe in die Natur aus einer eher ökologischen Perspektive. Jede*r betrachtet Kunst anders – durch unsere neue Perspektive erweitern wir das übliche Verständnis der Kunstwerke, wie es viele Betrachter*innen haben. Was wir genau beobachtet haben, davon berichtet dieser Text:

1 – Die Hecke am Aasee fällt uns zunächst gar nicht als Kunstwerk auf. Sie wirkt wie eine ganz gewöhnliche Eiben-Wand. Nur dass sie etwas unvermittelt direkt am Aasee steht, zeigt an: Hier stimmt etwas nicht. Als wir sie umrunden, entdecken wir einen QR-Code im Gras und lesen „Rosemarie Trockel: Less Sauvage than Others (Weniger wild als andere), 2007 skulptur projekte münster“ – also ein Kunstwerk. Die Hecke hat die Form eines langgestreckten Quaders. Mitten in der langen Seite befindet sich ein schmaler Spalt. Ob dies der Eingang sein soll, ist nicht klar, unsere Neugierde ist aber geweckt. Da die Eiben eng gesetzt sind, ist das Licht im Innern gedämpft, die Atmosphäre intensiv. Leider fällt aber auch sofort auf, wie viel Müll in der Hecke rumliegt und dass sie wohl auch als Ausweichtoilette genutzt wird. Dass beides für die heimische Flora und Fauna nicht gut ist, liegt auf der Hand. Dafür entdecken wir in den Eiben ein Vogelnest und freuen uns über den schönen Blick nach draußen auf den Aasee.

Die klare Form und auch die Gurte im Innern des Quaders legen nahe, dass die Hecke regelmäßig gepflegt wird – für das Kunstwerk vielleicht notwendig, für die Pflanzen aber schade. Frei wachsend können Eiben wild und großartig aussehen, hier aber sind sie gartenmäßig zurechtgestutzt. Die Natur ist bewusst gebändigt: Weniger wild als andere.

2 – Auf dem Weg nach Gievenbeck sieht man am Horstmarer Landweg von Weitem zwei hohe Pappeln und den Giebel eines kleinen Häuschens. Man muss aber erst vorbei an einem kleinen Hügel bis zum Rand eines kleinen Parks vordringen, um zu sehen, dass hier noch mehr passiert: Mitten im ländlichen Grün liegt hier ein Schiff – eine etwas irritierende, aber auch interessante Idee.

Auffällig ist, dass sich um das Kunstwerk herum viel Aufwuchs befindet. Einzelne Bäume und das Röhricht im Wassergraben verdecken die Form des Schiffs. Schon jetzt kann man ahnen, dass die niedrige Mauer des Schiffskörpers im Sommer nicht mehr zu sehen sein wird. Es ist absehbar, dass der Graben irgendwann verlanden könnte. Auch wenn die Bäume und Sträucher am Wassergraben erkennbar zurückgeschnitten wurden, ist für uns hier – anders als bei der Aasee-Hecke – kein Pflegekonzept erkennbar. Wir haben eher den Eindruck, dass sich die Vegetation frei entwickeln kann. Die vielen unterschiedlichen Gestaltungselemente des Kunstwerks ermöglichen eine hohe strukturelle Vielfalt und bringen viele verschiedene Biotope hervor. Das ist ökologisch wertvoll und lädt Besucher*innen ein, auch diese Dimension des Kunstwerks zu erkunden. Schön wäre es, wenn man das Schiff betreten und als Treffpunkt oder Versammlungsort nutzen könnte. Aber die Einsamkeit, die das Häuschen auf dem Schiff ausstrahlt, gehört wohl zur Idee des Kunstwerks.

3 – Während die Hecke und das Schiff recht gut erkennbar sind, haben wir im Wienburgpark lange gebraucht, um herauszufinden, wo und was hier überhaupt Kunst ist. Das Kunstwerk besteht nämlich aus Bäumen – in geraden Linien gepflanzte Urweltmammutbäume und direkt daneben Abendländische Lebensbäume in einer zufällig gesetzt wirkenden Gruppe. Ohne Laub ist die Anordnung der Mammutbäume gut lesbar. Wir erkennen einen Durchgang und erahnen ein Dreieck hin zum Graben. Die Lebensbäume erscheinen uns interessanter. Es riecht mediterran und die vermeintlich zufällig angeordnete Pflanzung wirkt lebendig. Wir fragen uns jedoch nach dem Sinn. Einen QR-Code, über den wir uns Hintergrundinformationen besorgen könnten, finden wir aber nicht. Beide Gehölze sind in unserer Landschaft fremd und daher für die heimische Natur nicht sonderlich wertvoll. Wir freuen uns allerdings über die müllfreie Fläche und stellen uns vor, dass man hier im Sommer schöne Tage verbringen kann. Gerade die zufällig wirkende, fast labyrinthartig angeordneten Lebensbäume laden zum Rumlaufen, Reinlaufen und Entdecken ein – wir haben sogar ein paar Pilze gefunden. Im Vergleich zu Schiff und Hecke ist dieses Kunstwerk riesig. Es gibt keine vorgegebenen Wege oder Blickpunkte, was verwirrend wirken kann. Der Kontrast der beiden Pflanzungen hat aber eine starke Wirkung und fügt sich gut in den Park ein. Jetzt im Winter erscheint uns die Arbeit aber etwas ungreifbar, für ein besseres Verständnis müssen wir vielleicht im Sommer nochmal wieder kommen.

Im Gespräch über die drei Kunstwerke stellen wir uns natürlich die Frage nach der ökologischen Wertigkeit. Haben sich die Künstler*innen damit beschäftigt, welchen ökologischen Nutzen ihre Kunst haben kann? Sollten sie das tun?

Die drei Kunstwerke bieten viele Chancen für die heimische Flora und Fauna. Am Aasee wurden heimische Eiben gepflanzt, deren Beeren im Winter eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel sind. Und wie wir gesehen haben, dient die Hecke auch als Brutplatz. Zusätzlich hat sie als potentieller Zufluchtsort zum Beispiel für Kaninchen und Igel eine wichtige Funktion für die Stadtnatur, Abstriche muss man allerdings in Sachen Biodiversität machen. Das sieht beim Schiff anders aus; mit Gewässer, Gräsern, Bäumen und Sträuchern liegt eine hohe strukturelle Vielfalt vor, die die örtliche Biodiversität fördert. Zusammen mit dem nahegelegenen Kinderbach und seiner standorttypischen Vegetation ist der Schiffsgraben auch für Amphibien interessant. Im Gegensatz dazu können laut Sara heimische Insekten, Vögel und andere Tiere mit den exotischen Bäumen im Wienburgpark nicht viel anfangen, sodass dieses Kunstwerk keine besondere ökologische Bedeutung hat.

„Viele wissen nicht“, erklärt Sara, „dass eine vom Menschen angelegte Landschaft aufgrund der Vielfalt an Biotopen für die lokale Biodiversität genauso wertvoll sein kann wie eine naturbelassene Fläche. Da der Rückgang an biologischer Vielfalt neben dem Klimawandel eine der größten Katastrophen unserer Zeit ist, sollte die Förderung dieser Vielfalt in der Stadt an Bedeutung gewinnen. Die Naturkunstwerke im Stadtgebiet haben zwar wenig Einfluss auf das Stadtklima und die lokale Biodiversität, da es bei Land Art nach unserem Verständnis jedoch auch darum geht, die Landschaft und gerade auch die lebenden Organismen darin wahrzunehmen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, würden wir uns wünschen, dass bei zukünftigen Skulptur Projekten ökologische Themen stärker hervorgehoben werden. Naturkünstler*innen könnten hier mit gutem Beispiel vorangehen.“

Ein gutes Beispiel hierfür ist das „sanctuarium“, das Herman de Vries für die Skulptur Projekte 1997 schuf und in dem sich die Natur geschützt frei entwickeln kann. Das ist bei den hier besprochenen Naturkunstwerken anders: Sie brauchen regelmäßige Pflege. Die Hecke wird geschnitten, der Aufwuchs rund ums Schiff wird möglicherweise zur nächsten Ausgabe der Skulptur Projekte wieder entfernt und im Wienburgpark werden die Flächen zwischen den Bäumen kurz gehalten. Dazu hat Sara eine klare Meinung: „Wenn man mit Pflanzen arbeitet, beschäftigt man sich mit Lebewesen – diese wachsen, werden älter und verändern ihre Formen. Das könnte man auch zulassen und am besten ins Kunstwerk integrieren. Die Pflanzen stattdessen in eine strenge Form zu pressen, erinnert an die klassische Gartenkultur, in der der Mensch seine Dominanz über die Natur zum Ausdruck bringt.“

Wäre es denn schlimm, wenn man die Kunstobjekte sich selbst überlassen würde? Was würde entstehen, wenn ein Kunstwerk ganz mit der Natur verwächst? Ich persönlich finde diesen Gedanken sehr spannend – zumal Ansätze beim Schiff bereits zu erkennen sind. Hier könnte ein kleiner Wald mit Erlen und Weiden entstehen, der das Kunstwerk zugleich verdeckt und hervorhebt. Auch das Wetter nimmt Einfluss: 2018 war der Graben ausgetrocknet, sodass man das Schiff betreten und das Kunstwerk ganz anders wahrnehmen konnte. Und auf alten Fotos kann man sehen, dass man vom Schiff früher einen freien Blick auf die Stadtkulisse hatte. Dieser Blick wird heute von einem Wohngebiet verdeckt. Wenn der Stadtraum um die Kunstwerke herum wachsen darf, warum nicht auch die Natur?

Jede der drei Arbeiten bietet also viel Stoff zum Nachdenken. Schade nur, dass sie nicht unmittelbar als Kunstwerke auffallen. Sollte dies nicht zur Absicht der Künstler*innen gehören, wäre eine deutlichere Kennzeichnung vielleicht gut. Die QR-Codes im Boden sind eigentlich eine gute Idee, um Betrachter*innen mit Informationen zu versorgen. Sie sind aber zu klein und schnell zugewachsen. Ein großes Infoschild stört vielleicht die freie Wahrnehmung, aber ohne eine solche Markierung kann man schnell verpassen, dass man gerade vor einem Kunstwerk steht – und das kann ja nicht im Interesse der Künstler*innen sein.

Generell wirken die Skulpturen ziemlich unnahbar. Wir würden uns mehr Bezüge zum Leben in der Stadt wünschen, zum Beispiel Picknickplätze oder Treffpunkte für Familien oder Studierende. „Das Schiff“, merkt Sara an, „liegt sogar direkt gegenüber vom Institut für Landschaftsökologie. Da fände ich es super, wenn das Kunstwerk zusätzlich zu seinem ästhetisch-schönen und beeindruckenden Aussehen, ein Versammlungsort wäre mit hoher Aufenthaltsqualität. Diesen könnten die Studierenden besonders im Sommer nutzen.“ Zugleich zeigt die Müllproblematik bei der Aasee-Hecke, dass mehr Leben bei den Kunstwerken auch mehr Pflege bedeuten kann.

Wir haben in diesem Text die Natur der drei Kunstwerke in den Mittelpunkt gestellt. Informationen über die künstlerischen Konzepte gibt es online hier: www.skulptur-projekte-archiv.de. Nach unserem Rundgang im kalten Winter freuen wir uns auf den Sommer und wünschen uns, dass die Perspektive von Land Art im Kleinen bei den Skulptur Projekten mehr Gewicht erhält.

| Mathis Neuhäuser, mit Dank an Sara Kehmer