MASKEN: Schutz oder Zumutung?

Dossier "Epidemien. Kulturwissenschaftliche Ansichten"

Auf dem Vaporetto, Venedig, September 2020
© Eva Krems

Nach anfänglicher Irritation haben wir uns mehr oder weniger an das Tragen von Mund/Nasen-Schutz in öffentlichen Räumen gewöhnt. Trotzdem scheint der ,Maskenzwang‘ ein Stein des Anstoßes geblieben zu sein, der zum Gegenstand heftiger affektiver Reaktionen, etwa bei Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen, wurde. Masken sind in der Kultur in vielfacher Weise verankert. So wurden zum Beispiel im Theater des antiken Griechenland von den Schauspielern Masken getragen. Dadurch konnte die dargestellte Figur auch von weit entfernten Zuschauerrängen aus deutlich wahrgenommen werden. In vielen Kulturen spielen Masken eine zentrale Rolle in Kult und Ritual, wo sie den Menschen die Möglichkeit der zeitweisen Verwandlung geben. Masken werden im Karneval getragen, wo sie Identitäten verbergen und die spielerische Annahme einer anderen Identität ermöglichen. Und nicht zuletzt verbindet man das Maskentragen mit dem kriminellen Milieu; so trägt der klassische Bankräuber im Film eine natürlich schwarze Gesichtsmaske! Auch das Bild von Schutzmasken tragendem medizinischen Personal im OP mag eher negative Konnotationen hervorrufen, wenn man an schwere Krankheiten denkt. Und doch stehen die Schutzmasken für Hygiene, medizinische Standards und den Schutz des Patienten bzw. der Patientin. Ist die Ablehnung der Alltagsmasken deshalb so groß, weil sie uns beständig an Krankheit und Tod erinnert? Oder ist es die mit der Maskenpflicht einhergehende Einschränkung der Freiheit, die Gegenreaktionen hervorruft? Allerdings kann man durchaus auch einen in Farbe und Form teilweise kreativen und humorvollen Umgang mit der Alltagsmaske beobachten. Die folgenden Beiträge beleuchten das Maskentragen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und machen deutlich, dass die gegenwärtige Maskenpflicht in einen kulturellen Kontext eingebunden ist, der in die Debatte bewusst oder unbewusst hineinspielt.

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Zur Vielseitigkeit von Masken in afrikanischen Gesellschaften. Von Ethnologin Prof. Dr. Dorothea Schulz

Die Bedeutungen und Effekte, die in afrikanischen Gesellschaften den in verschiedenen rituellen Zusammenhängen getragenen „Masken“ im Unterschied zur aktuell vorgeschriebenen Mund- Nasen-Bedeckung zugeschrieben werden, weisen darauf hin, dass alle diese Elemente der Kopf- und Gesichtsbedeckung ihre Bedeutung nicht aus sich selbst, sondern aus dem sozialen Kontext entfalten, in dem sie verwandt werden. Hierin besteht eine auffällige Parallele zur muslimischen Kopf- (und manchmal auch Körper-)verhüllung, die in der deutschen Öffentlichkeit unter den Begriffen „Schleier“ und „Kopftuch“ verhandelt wird: Weiterlesen

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Die Seuche im Gesicht tragen - Masken als Indikator eines unsichtbaren Geschehens. Von Historikerin Katharina Wolff

Wer an Masken denkt und an Seuchen, der denkt recht bald auch an die allseits bekannte Gesichtsmaske des Pestarztes Doktor Schnabel. Auf frühneuzeitlichen Darstellungen ist sie zu sehen, die Gestalt im langen schwarzen Mantel, vielleicht mit einem Stab, behandschuhten Händen und einem Gelehrtenhut, der den Doktor erkennen lässt. Im Gesicht trägt er die Maske, die ihn vor den ansteckenden Dünsten der Kranken bewahren soll.  Weiterlesen

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Die außerordentliche Karriere des Doktor Schnabel. Von Literaturwissenschaftlerin PD Dr. Pia Claudia Doering (Romanistik)

Die Schnabelmaske des Pestarztes ist medizingeschichtlich von untergeordneter Bedeutung. Dies belegen anschaulich die Arbeiten der Medizinhistorikerin und Direktorin des Deutschen Medizingeschichtlichen Museums Marion Maria Ruisinger. In kulturgeschichtlicher Perspektive hingegen hat die Pestmaske große Bekanntheit erlangt und ist als Symbol für die Ansteckungsgefahr, die von Seuchen ausgeht, aber auch für Krankheit und Tod fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Weiterlesen

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Die Maske der Seuche. Nochmals zum Tod in Venedig. Von Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf (Germanistik)

Warum ruft gerade die Pflicht zum Maskentragen bei vielen Menschen Widerstände hervor? Weil es einfach unangenehm ist? Weil die Brille beschlägt? Oder weil uns die Maske an etwas erinnert, was wir lieber verdrängen? Den Tod zum Beispiel? Zunächst einmal verbergen die zu tragenden Alltagsmasken einen Teil des Gesichts und schränken die Möglichkeit ein, in der Miene des Gegenübers zu lesen. Masken scheinen zu entindividualisieren wie Theatermasken oder Masken im Karneval, bei denen man nicht weiß, wer sich hinter der Maske verbirgt. Weiterlesen

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Keine Masken, aber Magie – magische Papyri als Schutz vor Krankheit. Von Historiker Matthias Sandberg

Die gegenwärtige, teilweise emotionalisiert geführte Debatte um das Für und Wider des Tragens von Masken als Schutzmaßnahme gegen eine uneingeschränkte pandemische Verbreitung des Covid-19-Erregers berührt die Frage nach dem Stellenwert von Solidarität und solidarischem Handeln innerhalb der Gesellschaft. Werte, Normen und Regeln kollektiven Miteinanders in Zeiten der Pandemie, wie etwa die Ahndung der Nicht-Einhaltung der AHA-Formel, werden bisweilen als unzulässige Repressalien und als ungerechtfertigter Angriff obrigkeitsstaatlicher Autorität auf individuelle Freiheitsrechte gedeutet. Die Einsicht, dass Eigen- und Fremdschutz reziprozitär miteinander verbunden sind, scheint längst nicht bei allen angekommen. Weiterlesen