GOTTES WILLE/GOTTES BEISTAND? Religiöse Deutungen von Epidemien

Dossier "Epidemien. Kulturwissenschaftliche Ansichten"

© Jens Niebaum, gemeinfrei, exc, public domain

Die Kirchen seien in der Corona-Zeit auf Tauchstation gegangen, kritisierte der ZDF-Chefredakteur Peter Frey in der Zeitschrift Christ & Welt im Februar 2021. Zwar sei es richtig, dass die Kirche die Pandemie nicht mehr, wie es in früheren Zeiten üblich war, als Strafe Gottes instrumentalisiere, aber die Kirche habe sich in der Krise nicht zu neuer Kreativität aufgemacht. Der Pandemie und ihren Folgen fehle jegliche spirituelle Vertiefung. Dagegen sagte der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack im März 2021 in einem Interview ebenfalls in Christ & Welt, er fände es richtig, dass die Kirchen weitgehend auf Sinndeutung der Pandemie verzichtet haben. Die Zeit, in der die Religion für die Lösung aller Probleme zuständig war, sei lange vorbei. Wahrscheinlich sei, dass viele Menschen die Krise nicht religiös deuten und sie vielmehr als medizinisches und politisches Problem wahrnehmen. Die Beiträge dieses Dossiers spüren religiösen Sinndeutungen von Seuchen nach, wie sie sich in Textzeugnissen und Bildern aus vergangenen, gläubigeren Jahrhunderten ablesen lassen, richten den Blick aber etwa auch auf das Afrika der Gegenwart.

© Jens Niebaum

Gottes Strafe – Gottes Gnade. Zur baulichen und bildlichen Bewältigung der großen Pest von 1629-31 in Venedig. Von Kunsthistoriker Dr. Jens Niebaum

Religion kommt in der Vormoderne im gesellschaftlichen Umgang mit epidemischen Ereignissen die Rolle einer janusgesichtigen Ressource zu. Auf der einen Seite wird sie bemüht, Erklärungsmuster für das Auftreten der Seuche bereitzustellen. Diese erscheint kaum anders denn als Strafe Gottes denkbar, entsprechend dem biblischen Bericht (2. Sam. 2; 1. Chr. 21), wonach Gott den Hochmut des Königs David dadurch sanktionierte, dass er eine dreitägige Pest über Israel kommen ließ. Weiterlesen

© gemeinfrei

In Gottes Hand. Daniel Defoes A Journal of the Plague Year (1722). Von Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf (Germanistik)

So dokumentarisch und nah an den Geschehnissen Defoes „Journal“ erscheint, es handelt sich doch um einen fiktiven, 67 Jahre nach der Großen Pest, die Südengland und London in den Jahren 1665/66 heimsuchte, verfassten Text. Dieser Ausbruch der Seuche war eine der letzten großen Pest-Epidemien in Europa mit rund 100.000 Todesopfern. Weiterlesen

© exc

Gottes Strafe – Gottes Gerechtigkeit? Zur „Multimodalität“ religiöser Deutungen von Epidemien in Afrika. Von Ethnologin Prof. Dr. Dorothea Schulz

Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bevölkerungen einer wachsenden Anzahl afrikanischer Länder einer dritten Welle der Infektion mit dem Coronavirus, dieses Mal in Form noch gefährlicherer Varianten ausgesetzt sind, konkurrieren dort nach wie vor unterschiedliche Deutungen dieser Epidemie. Religiöse, wissenschaftliche, verschwörungstheoretisch-politische und esoterische Interpretationen zirkulieren zeitgleich, überlappen und inspirieren sich teilweise und weisen unterschiedliche Grade der Instabilität und Innovationsfähigkeit auf. Weiterlesen

© public domain

„Die Religion beschützt das Volk“: Päpstliche Bildpropaganda in pandemischen Krisen im 17. Jahrhundert. Von Kunsthistorikerin Prof. Dr. Eva-Bettina Krems

Während und nach der Pestepidemie in Rom 1656/57 wurden die segensreichen Maßnahmen im Kampf gegen die Seuche in diversen Bildmedien für die Nachwelt festgehalten. Sie feierten vor allem den amtierenden Papst Alexander VII. (reg. 1655-1667) als unerschrockenen Bezwinger der Pest. Erstaunlicherweise standen in dieser bildlichen Memoria weniger die religiösen als vielmehr die notwendigen gesundheitspolitischen Maßnahmen im Vordergrund, die in großformatigen Stichen festgehalten wurden. Weiterlesen